Berlin.

Am Tag nach dem Amoklauf hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière den Tatort am Münchener Olympia-Einkaufszentrum besichtigt. Im Interview mit dieser Zeitung appelliert der CDU-Politiker an den Gemeinsinn der Bürger.

Ist der Staat gegen Amokläufe ohnmächtig, Herr de Maizière?

Thomas de Maizière: Nein. Kein Rechtsstaat dieser Erde kann jede Straftat mit letzter Sicherheit verhindern, auch wir nicht. Aber wir können viel dafür tun, um Gewalttaten so gut wie möglich zu verhindern, und dafür arbeiten die Sicherheitsbehörden Tag und Nacht. Wir müssen sie bei dieser Arbeit unterstützen: die Bevölkerung, indem der eine auf den anderen Acht gibt und – im Falle besorgniserregender Entwicklungen – vielleicht auch den Sicherheitsbehörden mal einen Hinweis gibt. Und die Politik kann helfen, indem sie für möglichst gute Rahmenbedingungen sorgt: durch kluge Gesetze, mehr Polizei und bessere Ausrüstung. Genau das ist der Weg, den wir gehen.

Der 18-jährige, offenbar psychisch kranke Täter ist in den Besitz einer Pistole und von Hunderten Schuss Munition gelangt. Reicht die Waffenkontrolle in Deutschland aus?

Ich bin dagegen, immer sofort nach einer Tat Gesetzesverschärfungen zu fordern, bevor man alle Hintergründe kennt. Wir haben auch gerade in den letzten Monaten viele Gesetze in Deutschland und in Europa mit Blick auf die veränderte Sicherheitslage verschärft. Gerade unser Waffenrecht in Deutschland gehört zu den strengsten weltweit. Den nächsten Schritt machen wir jetzt in Europa mit der neuen Waffenrichtlinie, die einen weiteren Sicherheitsgewinn bringen wird. Ob es weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt oder nicht, schauen wir uns sorgfältig und in aller Besonnenheit an.‎

Der Täter hat gewaltverherrlichende Spiele im Internet genutzt. Gibt es Möglichkeiten, solche Spiele zurückzudrängen?

In der Tat wissen wir aus den Ermittlungen, dass sich der Täter intensiv mit solchen Spielen beschäftigt hat. Natürlich wird nicht gleich jeder, der solche Spiele spielt, zum Gewalttäter, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass solche gewaltverherrlichenden Spiele positiv für die Entwicklung vor allem von jungen Menschen sind. Ein Verbot ist in unserem freiheitlichen Rechtsstaat nicht der richtige Weg und wäre auch schwer umzusetzen. Aber wir müssen uns intensiv darüber Gedanken machen, wie wir zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit solchen Medien kommen, damit Kinder und Jugendliche nicht ungeschützt Gewalterfahrungen ausgesetzt sind, deren längerfristige Folgen wir nicht sicher abschätzen können.

Im Netz wurden auch Fehlalarme und Falschinformationen verbreitet – möglicherweise absichtlich. Unternehmen Sie etwas dagegen?

In welchem Ausmaß es sich vielleicht sogar um absichtliche Falschinformationen gehandelt hat, werden die Ermittlungsverfahren klären, die die bayerischen Behörden bereits angekündigt haben. Unser Strafrecht kennt zu Recht eine eigene Vorschrift, die den Missbrauch von Notrufen und die Behinderung von Rettungsmaßnahmen unter Strafe stellt. Aber natürlich besorgt mich, wenn ich sehe, welchen Beschleunigungseffekt für Gerüchte und Falschmeldungen die sozialen Medien in jener Nacht in München hatten. So etwas beeinträchtigt am Ende auch die Effektivität der polizeilichen Arbeit und bindet Kräfte, die an anderer Stelle gebraucht würden: Zahlreiche Meldungen über weitere Schießereien in München haben sich als falsch herausgestellt und haben die Polizei in erheblichem Umfang beschäftigt. Ich kann hier nur zur Besonnenheit aufrufen. Die Münchener Polizei hat es richtig gemacht: Sie hat schnell und präzise kommuniziert, was man schon weiß und was nicht. Das zerstreut kursierende Gerüchte, und das schätzt auch die Bevölkerung.

Der Amoklauf hat eine neue Diskussion über einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren ausgelöst. Überflüssig?

Diskussionen sind in einer Demokratie selten überflüssig. Innere Sicherheit ist nach meiner Überzeugung und nach unserem Grundgesetz aber vor allem Aufgabe der Polizei. Das Verfassungsgericht hat dazu entschieden, dass die Bundeswehr die Polizei mit ihren Mitteln in bestimmten besonders gefährlichen Situationen unterstützen kann. Das halte ich für richtig, und deswegen haben wir im Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik auch festgeschrieben, dass die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung auch geübt werden soll, damit sie reibungslos funktioniert, wenn es mal nötig sein sollte. Das halte ich für richtig und notwendig.