Hamburg. Integration in den Arbeitsmarkt läuft schleppend. Arbeitsagentur-Vorstand Detlef Scheele macht Sprachdefizite verantwortlich.

Aus Schutzbedürftigen sollen die „Fachkräfte von Übermorgen“ werden: Die Bundesagentur für Arbeit sieht in den Flüchtlingen ein großes Potenzial für die Volkswirtschaft – bislang läuft die Integration in Arbeit aber äußerst schleppend. Im Interview kritisiert der Bundesagentur-Vorstand und ehemalige Hamburger Sozialsenator Detlef Scheele deutliche Mängel bei den Integrationskursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Wirtschaft habe teilweise noch eine „Reserviertheit“ gegenüber Flüchtlingen.

Hamburger Abendblatt: Der Großteil der Flüchtlinge spricht kein Deutsch, war kaum in der Schule und hat keinen Beruf erlernt. Wie soll es gelingen, Flüchtlinge in Deutschland in Arbeit zu bringen und damit zu integrieren?

Detlef Scheele: In der Tat ist es schwierig. Wir fangen jetzt damit an, die Kompetenzen systematisch zu erfassen. Wenn also jemand sagt, er kann Autos reparieren, dann schauen wir auch mit Foto- und Videotests, welchem deutschen Ausbildungsstand er entspricht und wo er qualifiziert werden kann. Positiv ist: Die meisten Flüchtlinge sind vergleichsweise jung, nämlich unter 35 Jahre. Die Investition in die Qualifikation lohnt sich. Aber sie dauert eben mehrere Jahre.

Die Erfassung hat aber auch lange genug gedauert.

Scheele: Richtig, aber unter diesen Umständen hat das noch nie jemand eingerichtet, weder in Europa noch dem Rest der Welt. Wir müssen ein neues System erfinden. Es gibt das Anerkennungsgesetz. Aber das funktioniert nur, wenn Zeugnisse vorhanden sind. Flüchtlinge bringen oft im besten Fall nur ein Handyfoto ihrer Dokumente mit.

Zu Beginn der Flüchtlingskrise war die Wirtschaft euphorisch, Daimler-Chef Zetsche sprach von der „Grundlage für ein neues Wirtschaftswunder“. Bislang kamen aber nur sehr wenige Flüchtlinge nur über Praktika in Arbeit.

Scheele: Die Vorstände der Bundesagentur und unsere Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern beraten jedes Unternehmen intensiv über die Möglichkeiten berufsbegleitender Förderinstrumente, an deren Ende auch ein Berufsabschluss steht. Wir haben zusätzlich 250 Millionen Euro und 2800 Mitarbeiter für die Jobcenter bekommen, die natürlich auch für alle Langzeitarbeitslosen zuständig sind. Es stimmt aber, dass die Einstellungszahlen noch nicht sehr hoch sind. Genauere Daten werden wir im Herbst haben.

Wo sehen Sie die Gründe?

Scheele: Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist die Beschäftigung von Flüchtlingen nicht teuer. Die Löhne können wir zum Beispiel durch befristete Eingliederungszuschüsse nach Bedarf aufstocken. Die Wirtschaft ist engagiert – Sprachdefizite und kulturelle Hürden stellen aber noch eine Herausforderung für beide Seiten dar, die an manchen Stellen noch zu einer Reserviertheit der Wirtschaft beitragen können. Wir werden unseren Beitrag leisten, dass das Engagement in Beschäftigung mündet. Ein weiterer Grund ist, dass der Spracherwerb über die Integrationskurse noch nicht optimal läuft.

Die Flüchtlinge müssen zum Teil sechs Monate auf den Sprachkurs warten. Ist das System überlastet?

Scheele: Es sind nicht immer fehlende Sprachkurse. Das Steuerungs- und Belegungssystem für die Integrationskurse entspricht nicht den derzeitigen, besonderen Anforderungen. Aus unserer Sicht braucht es feste Kontingente und Zuweisungen für die Kurse. Für die aktuell hohen Fallzahlen sind reine Trägerzulassungen ohne klare Zuweisungsstrukturen nicht erfolgsfähig. Denn: Das derzeitige Verfahren kann durchaus dazu führen, dass in unmittelbarer Nähe mehrere Träger Kurse anbieten, ohne beginnen zu können, weil sie jeweils nicht auf die erforderliche Mindestteilnehmerzahl kommen.

Muss das ganze System der Sprachkurse umgestellt werden?

Scheele: Wir als Vorstand haben gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Verwaltungsrates angeregt, die Integrationsverordnung so anzupassen, dass künftig Vergaberecht angewandt wird. Aus unserer Sicht lassen sich die Integrationskurse so erheblich effizienter steuern: Die Teilnehmenden wissen, wann und wo konkret ihr Integrationskurs beginnt, wie lang er dauert und welche Inhalte er hat – und wir wissen es ebenso.

Was schlagen sie vor, um die Probleme abzustellen?

Scheele: Wir haben in Kooperation mit dem BAMF ein neues Angebot geschaffen, mit dem wir Spracherwerb und berufliche Bildung kombinieren. Wir haben im Moment 40.000 Plätze in diesem System, die Kurse docken ab August an die Integrationskurse an. Wir erhoffen uns mehrere Vorteile: Die praktische Anwendung der Sprache in den beruflichen Praxisphasen erleichtert den Spracherwerb. Außerdem können wir Flüchtlinge bestimmten Kursen zuweisen und erhalten einen guten Überblick.

Machen Sie sich Sorgen um die Qualität der Sprachkurse?

Scheele: Nein, das BAMF prüft die Träger meines Wissens sehr sorgfältig.

Auch die Einstiegskurse der Bundesagentur brachten oft keinen Erfolg. Die Träger der Folgekurse klagen, dass die Flüchtlinge immer noch häufig auf dem niedrigsten Niveau sind.

Scheele: Der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit hat in einer Notsituation im vergangenen Herbst eine Entscheidung getroffen, um so schnell wie möglich Leute in die Sprachkurse zu bringen. Die Qualität des Unterrichts hat möglicherweise nicht immer zu extrem guten Ergebnissen geführt. Positiv ist, dass wir die Flüchtlinge dadurch in das System gebracht haben. Wir konnten 230.000 Menschen an die Integrationskurse vermitteln. Das ist ein deutlicher Fortschritt.

Müssen die Ziele bei der Arbeitsmarktintegration angesichts der Probleme gesenkt werden?

Scheele: Wir stehen auf dem Standpunkt, dass man Flüchtlinge auch berufsbegleitend fortbilden muss. Diese Bildungsketten, bei denen Sprachkurs und Qualifikation nacheinander stattfinden, bremsen den Prozess. Die berufsbegleitende Fortbildung ist das Mittel der Wahl. Und man soll die Flüchtlinge auch als Helfer arbeiten lassen können. Wichtig ist, dass sie von dort weiterkommen und aufsteigen können. Und dafür haben wir die Mittel.

Wie viele Flüchtlinge sind schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren?

Scheele: Im Bezug auf alle Asylsuchenden haben wir eine Schutzquote von 55 Prozent, diese haben rechtlich den gleichen Status wie einheimische Arbeitnehmer. Deshalb sagen wir den Arbeitgebern: Arbeitet euch nicht am Ausländerrecht ab. Es gibt genügend Flüchtlinge, die man ohne ausländerrechtliche Hindernisse beschäftigen kann.

Wann kann die systematische Integration beginnen?

Scheele: Wir haben einen Plan: Die Kombination von Berufsbildung und Spracherwerb und im Anschluss eine berufliche Ausbildung oder berufsbegleitende Qualifikation. Zum Jahresende sollte alles funktionieren. Dann ist es realistisch, zehn Prozent der Flüchtlinge im ersten Jahr in Arbeit zu bringen. Wenn alle mitmachen, klappt es.

Was passiert bei einer Wirtschaftskrise?

Scheele: Wir haben keine Anzeichen dafür, dass sich die Situation eintrübt.

Sind Sie eigentlich erleichtert, nicht mehr mit der Unterbringung der Flüchtlinge in Hamburg befasst zu sein?

Scheele: Nein. Wenn es etwas extrem belastendes an meinem Amt als Sozialsenator gab, war es das Thema Jugendhilfe. Die Frage, was hinter verschlossenen Türen bei Familien in Hamburg passiert, worauf man auch keinen direkten Einfluss hat. Es kann immer zu tragischen Ereignissen kommen, vieles wird öffentlich nie bekannt. Und die Schicksale von Yagmur und anderen Kindern bewegen zutiefst – erst recht, wenn man die politische Gesamtverantwortung trägt.