Berlin.

Es gebe ja auch „ganz sachliche Gründe“, die gegen Jérôme Boateng als Nachbarn sprechen würden, schreiben die Videoblogger von „Unicorn TV“ im Internet. Dieser zum Beispiel: Wenn du mit deinem Nachbarn kicken gehst, verlierst du immer. Oder einfach: Boateng ist halt cooler als du.

Der Eintrag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ist nur eine von etlichen Spottreaktionen auf die Äußerung von AfD-Vize Alexander Gauland zu Fußball-Nationalspieler Boateng, den angeblich niemand als Nachbarn haben wolle. Der Terrorismusexperte Peter Neumann stellt spöttisch eine Umfrage auf Twitter: „Wer verteidigt Deutschland besser gegen ausländische Angriffe?“ Fast 90 Prozent stimmten für Boateng.

Und die AfD: bestreitet, schuldigt an. Rudert zurück. Auslöser der hitzigen Debatte war ein Artikel auf der Titelseite der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS), in der es heißt: „Gauland beleidigt Boateng“. In einem Gespräch mit zwei Berliner Korrespondenten hatte sich der stellvertretende Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei laut „FAS“ abschätzig über den dunkelhäutigen Spieler geäußert. „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut, aber wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“, zitiert die Zeitung Gauland. Der Fußball-Weltmeister von 2014 hat eine deutsche Mutter und einen ghanaischen Vater.

Gauland bestritt am Sonntag zunächst, diese Äußerung gemacht zu haben. Er habe in einem vertraulichen Hintergrundgespräch die Einstellung mancher Menschen beschrieben, „aber mich an keiner Stelle über Herrn Boateng geäußert“. Er kenne Boateng nicht und „käme daher auch nicht auf die Idee, ihn als Persönlichkeit abzuwerten.“ In der ARD-„Tagesschau“ schloss Gauland später allerdings nicht aus, dass in dem Gespräch mit der „FAS“ Boateng erwähnt wurde. Dessen Name könne gefallen sein, möglicherweise seitens der Journalisten.

Die Zeitung stellte Treffen und Gespräch mit Gauland anders dar. „Beide Kollegen haben die Passage aufgezeichnet, ihre Aufzeichnungen stimmen überein.“ Gauland habe lediglich den Teil des Gesprächs, in dem er sich über AfD-Führungspolitiker äußerte, als Hintergrund eingestuft, aus dem nicht zitiert werden sollte. Nicht also die Äußerung zu Boateng.

Provokation, Debatte, Rückzug – die Methode der AfD

Mehrfach hatten Gauland und andere Parteimitglieder bereits früher gegen Zuwanderer, Flüchtlinge und Muslime gehetzt. Häufiger schon hatten AfD-Funktionäre in Reden oder Interviews provoziert. So sagte Parteichefin Frauke Petry, Grenzbeamte müssten „notfalls“ gegen illegal einreisende Asylsuchende ihre Waffe einsetzen. Thüringens AfD-Chef Bernd Höcke äußerte sich rassistisch über „Reproduktionsstrategien“ von Menschen in Afrika. Auch Gauland fiel wiederholt mit fremdenfeindlichen Parolen auf.

Der Deutsche Fußball-Bund, Spielerkollegen und Spitzenpolitiker kritisierten Gauland nun scharf. Es sei geschmacklos, die Popularität Boatengs „für politische Parolen zu missbrauchen“, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel. Nationalspieler Benedikt Höwedes twitterte: „Wenn du für Deutschland Titel gewinnen willst, brauchst du Nachbarn wie ihn.“ Dazu postete er Bilder von sich und Boateng. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte dieser Redaktion: „Ich hätte Jérôme Boateng sehr viel lieber in der Nachbarschaft als Alexander Gauland.“ Die AfD sei nicht in der Gegenwart angekommen.

In dem nun erschienenen Artikel wetterte der 75 Jahre alte Gauland, jahrelanges Mitglied der CDU, laut „FAS“ erneut gegen Zuwanderer und Flüchtlinge. Die große Zahl von Fremden sei das eigentliche Problem, wird Gauland zitiert. Man wolle für all das „kämpfen, was man von den Vätern geerbt“ habe. Dabei geht es Gauland vor allem um eines: Abwehr des Islams.

Provokation, Debatte, Rückzug – darin sehen manche Experten die Strategie der AfD. Der Partei gehe es um „inszenierte Tabubrüche“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider. Das schaffe Aufmerksamkeit. Einst als Anti-Euro-Partei gestartet, fährt die AfD längst einen islamfeindlichen Kurs.

Seit Monaten gewinnen die Radikalen in der AfD an Macht – vor allem nach dem Rückzug von Parteigründer Bernd Lucke. Das sorgt für Spannungen und Verwerfungen in der Partei. Gemäßigtere AfD-Vertreter versuchen, fremdenfeindliche Parolen einzufangen, um ein bürgerliches Image der Partei zu wahren: Co-Chef Jörg Meuthen sagte dieser Redaktion, die AfD sei „stolz auf alle Spieler, die unser Land repräsentieren, egal welche Religion oder Hautfarbe sie haben“. Meuthen weiter: „Wenn Herr Boateng sich eines Tages dazu entschließen sollte, in meine Nachbarschaft zu ziehen, würde ich mich über ihn als neuen Nachbarn freuen.“ Auch Gauland sei falsch verstanden worden, hob Meuthen hervor.

Immer wieder kam es vor Fußballturnieren in der Vergangenheit zu rassistischer Hetze gegen Spieler. So verteilte die rechtsradikale NPD im Jahr 2006 vor der deutschen Heim-WM einen Spielplan mit ausländerfeindlichen Sprüchen.

Im Vorfeld der nun anstehenden Europameisterschaft verkauft „Kinderschokolade“ Packungen mit Jugendfotos der Nationalspieler. Darauf zu sehen sind etwa auch Boateng und Ilkay Gündogan. Anhänger der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung hatten sich abschätzig geäußert und für kreativen Protest im Netz gesorgt.

Boateng selbst reagierte am Sonntag gelassen. „Kann ich nur drüber lächeln. Ist traurig, dass so etwas heute noch vorkommt“, sagte er in der ARD nach dem Länderspiel Deutschland - Slowakei. „Ich glaube, heute waren auch genug positive Antworten im Stadion. Ich habe ein paar Plakate gesehen.“