Washington/Hiroshima.

Dagegen verblasst die Öffnung in den Beziehungen zu Kuba wie auch der Atomdeal mit den Mullahs in Teheran: Auf seiner im November endenden Abschiedstournee wartet auf Barack Obama heute die historisch heikelste und menschlich bewegendste Station – Hiroshima. Als erster US-Präsident wird der Friedensnobelpreisträger zu Amtszeiten den Ort besuchen, an dem vor 71 Jahren zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein nuklearer Feuersturm entfesselt wurde. Am
6. August 1945 warf der US-Kriegsbomber Enola Gay über der japanischen Stadt die Atombombe ab. 140.000 Menschen starben. Drei Tage später tötete eine zweite Bombe in Nagasaki 80.000 Männer, Frauen und Kinder.

In Japan gilt bis heute der Satz eines früheren Bürgermeisters von Hiroshima: „Nuklearwaffen stehen für die ultimative Unmenschlichkeit und das absolute Böse.“ 80 Prozent der Bevölkerung halten den Einsatz der Bombe für verdammungswürdig und falsch, weil es sich dabei um eine überflüssige militärische Machtdemonstration gehandelt habe. In den USA ist die Haltung eine völlig andere. Knapp 60 Prozent halten die Atombombenabwürfe für angemessen, weil damit die Beendigung des Zweiten Weltkriegs beschleunigt worden sei. „Der Zweite Weltkrieg gilt als guter Krieg“, bilanziert der Historiker Peter Kuznick von der American University in Washington.

Für Obama macht das die Visite an der Seite des japanischen Premiers Shinzo Abe zum Akt auf dem diplomatischen Hochseil, bei dem jeder Schritt und jede Formulierung unter dem Brennglas der Medien liegen. Um sich im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf den Rücken freizuhalten, hat Obama bereits vor der Reise nach Asien erklären lassen, dass er sich nicht für die Bombe entschuldigen werde. Stattdessen wolle Obama Ort und Zeitpunkt nutzen, um seine im April 2009 in Prag skizzierte Vision eines atomwaffenfreien Planeten neu zu beleben. Eine Vision, von der die Welt nach bald acht Jahren Amtszeit Obamas weiter entfernt scheint als je zuvor.

Weltweit sind nach Zahlen von Nichtregierungsorganisationen immer noch über 17.000 Atomwaffen stationiert. Knapp 7500 davon allein in den USA. Insgesamt 4000 so, dass sie binnen kürzester Zeit abschussbereit wären. Neben den bekannten neun Atommächten Amerika, England, Frankreich, Russland, China, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea haben auch andere Länder das technische Potenzial, sich Nuklearwaffen zuzulegen. Etwa Brasilien. Der Iran, just durch einen internationalen Vertrag zur atomaren Zurückhaltung verpflichtet, ist im arabischen Raum kein Solitär. Auch in Saudi-Arabien wird mit dem Gedanken gespielt.

In Japan, das bis heute unter dem atomaren Schutzschirm Amerikas steht und rund 40.000 US-Soldaten im Land hält, hat die Debatte besondere Vorzeichen. Zum einen sorgt sich Tokio vor einem nuklearen Wettrüsten vor der Haustür, bedingt durch Nordkorea und befürchte Nachahmungseffekte in Südkorea. Zum anderen haben Äußerungen des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump für Wirbel gesorgt, der zuletzt darüber schwadronierte, dass Japan wirtschaftlich stark genug sei, um selbst für seine atomare Sicherheit zu sorgen. Eine Diktion, die Obama als abwegig zurückweisen ließ. Aber seine Machtbefugnisse enden in wenigen Monaten.

Obwohl unter Obamas Führung das US-Atomwaffenarsenal anfangs reduziert worden sei, so klagen Anhänger der Friedensbewegung, könne man ihn nicht aus der Kritik entlassen. Vor dem Hintergrund der wachsenden Spannungen mit Russland und China, so der Verband „United for Peace and Justice“, werde gerade eine milliardenschwere Modernisierung des Bestandes an Nuklearwaffen in Amerika durchgeführt. „Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird immer größer.“ Weiteres Indiz: In Vietnam das seit 50 Jahren bestehende Embargo für schwere Waffen aufzuheben, was das Wettrüsten im pazifischen Raum beschleunigen werde, und in Hiroshima vor dem Albtraum einer erneuten nuklearen Katastrophe zu warnen, „dass passt nicht wirklich zusammen“.

In Hiroshima, so betonten Asienexperten in den vergangenen Tagen in US-Medien, wird es neben der Rede Obamas vor allem auf Feinheiten ankommen. Vor Wochen hatte US-Außenminister John Kerry im Friedenspark von Hiroshima einen Kranz niedergelegt, dabei aber auf die nach japanischen Sitten gebotene Geste der Verbeugung am Mahnmal verzichtet – was in Japan Kritik auslöste. Anders­herum erging es Obama nach seinem Besuch 2009 bei Kaiser Akihito. Seine Demutsgeste vor dem Monarchen sorgte in konservativen Kreisen in den USA für Kopfschütteln.

Wie sensibel die japanische Öffentlichkeit auf Amerika reagiert, zeigt auch der Umgang mit einer Gewalttat. Ein US-Angestellter auf dem Stützpunkt Okinawa hatte im April eine junge Japanerin vergewaltigt und ermordet. Premier Abe nannte das Verbrechen kurz nach der Ankunft Obamas in Japan vor den Mikrofonen der Weltpresse „abscheulich und unentschuldbar“. Obama, sichtlich zerknirscht, versprach, er werde alles tun, um solche Taten in Zukunft zu verhindern.