Paris.

Streiks, Straßensperren, Stromausfälle, Benzinknappheit, Randale – in Frankreich nimmt der Protest gegen die Arbeitsrechtsreform zwei Wochen vor dem Auftakt der Fußball-Europameisterschaft mit jedem Tag schärfere Formen an. Die kommunistische Gewerkschaft CGT will das Land blockieren. Die Machtprobe zwischen ihr und der Regierung bedroht auch den Auftakt der EM am 10. Juni und geht längst zulasten der Bürger.

Kurz nach Mitternacht steht Joséphine M. mit ihrem Kleinwagen in der langen Schlange, die sich vor einer Großtankstelle unweit der Pariser Stadtautobahn „Boulevard Périphérique“ gebildet hat. „Ich dachte, dass der Ansturm um diese Uhrzeit geringer sein würde“, erklärt die übermüdete Altenpflegerin. Ein Irrtum. „Wenigstens gibt es hier noch Benzin“, seufzt sie dann. Joséphine betreut zwei Dutzend altersschwache Senioren, die in den Pariser Vororten Saint Ouen und Clichy leben. Für die Hausbesuche ist sie auf ihr Auto angewiesen, dessen Tank so gut wie leer gefahren ist. 35 Minuten vergehen, bevor sie ihn an der Zapfsäule wieder auffüllen kann.

Seit neun Tagen schon blockieren Lkw-Fahrer mehrere wichtige Treibstofflager Frankreichs, während gleichzeitig die Angestellten in sechs von acht Raffinerien des Landes streiken und die Docker in den Häfen von Marseille und Le Havre sich weigern, die Fracht der einlaufenden Öltanker zu löschen. Das Resultat: Einem Drittel der Tankstellen ging in den letzten Tagen vorübergehend der Sprit aus und die Regierung muss auf ihre strategischen Treibstoffreserven zurückgreifen. Das deutsche Außenministerium warnte Reisende vor Versorgungsengpässen.

„Es gibt zwar Versorgungsengpässe, aber keine Treibstoffknappheit“, versichert Francis Duseux. Der Präsident der französischen Mineralölindustrie versichert, dass die Reserven selbst bei einem Stillstand der Produktion den Bedarf 112 Tage lang abdecken würden. Doch die streikgeprüften Franzosen glauben den Beschwichtigungen nicht. Sie stürzen sich auf die Tankstellen. Deren Absatz ist durch die Hamsterkäufe seit dem Wochenende um das Dreifache in die Höhe geschnellt, was beinahe zwangsläufig vielerorts zu Nachschubproblemen führt.

Am Donnerstag erreichte der Streit um die Arbeitsrechtsreform mit Streiks, Straßensperren, Demonstrationen und Randale einen weiteren Höhepunkt. Frankreichs größte Gewerkschaft, die kommunistische CGT, ist entschlossen, aufs Ganze zu gehen. Auf keinen Fall will sie die Liberalisierung des Arbeitsmarkts hinnehmen. Deren Kernpunkte, eine Lockerung des Kündigungsschutzes sowie das Vorhaben, betriebsinternen Vereinbarungen über Arbeitszeit und Löhne künftig mehr Gewicht einzuräumen als Branchenvereinbarungen, betrachtet die CGT als Kriegserklärung. Neben Bediensteten der Eisenbahn und der Nahverkehrsbetriebe legten am Donnerstag Teile des Flughafenpersonals sowie Fluglotsen die Arbeit nieder, während neben den Angestellten der Raffinerien auch die von 19 Kernkraftwerken in den Ausstand traten. Die Minderproduktion an Strom kann der staatliche Energieversorger EDF zwar durch teure Importe ausgleichen, trotzdem drohen nach den Versorgungsengpässen an den Tankstellen auch lokale Stromausfälle.

Dass zudem die Tageszeitungen nicht erschienen, mutet in diesem Zusammenhang fast wie eine Lappalie an. Doch der Hintergrund ist keine. CGT-Chef Philippe Martinez hatte den Redaktionen mit einem Streik in den Druckereien gedroht, falls sie nicht bereit seien, eine ausführliche Stellungnahme aus seiner Feder prominent im Blatt zu platzieren. Da dieser Erpressungsversuch nicht fruchtete, war an den Kiosken gestern allein die kommunistische Tagezeitung „Humanité“ zu finden.

Wie zwei Kampfhunde haben sich Regierungschef Manuel Valls und der Gewerkschaftsboss Martinez ineinander verbissen. Nichts weniger als den Rückzug der Reform, also die totale Kapitulation der Regierung fordert die CGT. Präsident Hollande und sein Premier bekräftigen fast täglich, dass sie sich ihr Handeln „niemals von einer radikalisierten Minderheit“ diktieren lassen werden. Offen steht die Drohung von Martinez im Raum, selbst den Auftakt der Fußball-Europameisterschaft mit einer Teillähmung des Zug- und Flugverkehrs zu stören. Außerdem verspricht die CGT, in der Seinemetropole ab dem 2. Juni mit einem unbefristeten Streik der Metro- und Busfahrer für Chaos zu sorgen. Nicht von ungefähr fürchtet man in Paris einen gewaltigen Imageverlust, falls Hunderttausende Fußballfans aus dem Ausland sich demnächst aus nächster Nähe davon überzeugen könnten, was in Frankreich alles nicht geht, wenn sich die Gallier wieder mal in einen anachronistisch anmutenden Arbeitskampf verkeilen.

Der Premier soll mit Rücktritt gedroht haben, falls die Reform gestoppt wird

Wobei zu diesem Streit um eine Reform eben auch gehört, dass sich am Donnerstag in ganz Frankreich Zehntausende Menschen zum achten Mal zu Protestzügen formierten. Die Zahl der Teilnehmer an den Demonstrationen mag zwar im Vergleich zum Beginn der Protestwelle im März rückläufig sein, doch dafür werden die sie begleitenden Ausschreitungen gewalttätiger. Mehr als 350 Polizisten sind bei den von Anarchisten und linksradikalen Schlägertrupps angezettelten Straßenschlachten verletzt worden.

Auf die Frage, wie lange sich der Streit noch hinziehen kann und ob er die ohnehin durch strengste Sicherheitsmaßnahmen belastete Organisation der EM gefährden wird, gibt es derzeit keine Antwort. Aber die Zeichen stehen nicht auf Entspannung. Valls soll mit Rücktritt gedroht haben, falls die Arbeitsrechtsreform doch einkassiert wird. Der CGT-Chef seinerseits weiß, dass seine Tage gezählt sind, wenn die in erster Linie von ihm angezettelte Frontalkonfrontation mit der Regierung keinen Erfolg haben sollte.