Hamburg .

Andreas Köhler hat in den vergangenen Jahren nicht schlecht verdient. Der 65-Jährige war lange Jahre Chef der mächtigsten deutschen Ärzteorganisation, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Mit mehr als 300.000 Euro Jahresgehalt gehörte er zu den Spitzenverdienern im Gesundheitswesen. Und doch dürfte es ein heftiger Schlag für ihn sein, sollte er demnächst Geld an seinen früheren Arbeitgeber zurückzahlen müssen.

Köhler hatte sich selbst eine offenbar zu üppige Pension verschafft, auch einige seiner Mitarbeiter genießen einen finanziell ungewöhnlich gut gepolsterten Ruhestand. Alles in allem geht es um bis zu zwei Millionen Euro, die sich die KBV nun mit juristischer Hilfe zurückholen will. Das beschloss die Vollversammlung der Kassenärzte gestern. Ein einmaliger Vorgang im halbstaatlichen Gesundheitswesen.

Genauso einmalig wie der Skandal in der KBV. Juristisch sind es Untreue und Betrug, die Köhler vorgeworfen werden. Es geht um überhöhte oder unrechtmäßige Ruhestandsbezüge und um rechtlich zweifelhafte Immobiliengeschäfte. Die Summen gehen in die Millionen. Umstrittene Mietkostenzuschüsse an Köhler wurden bereits vor Gericht verhandelt.

Die Sache wirft nicht nur auf die Kassenärzte ein schlechtes Licht, sondern auch auf die Ärzteschaft insgesamt. An diesem Dienstag kommt sie in Hamburg zu ihrer Vollversammlung zusammen, dem Ärztetag. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wird ihn eröffnen, und die Mediziner dürfen sich dabei auf wenig freundliche Worte gefasst machen. Gestern schon, Gröhe war noch auf Dienstreise in der Schweiz, mahnte er die Kassenärzte, bei ihrem Treffen im Vorfeld des Ärztetages endlich „gründlich aufzuräumen“. Immer wieder seien in den vergangenen Monaten „Fristen für notwendige Beschlüsse ungenutzt verstrichen“, bemängelte Gröhe im ARD-Fernsehen. Um die Aufklärung der Vorfälle zu befördern, habe das Ministerium ja „leider“ auch mehrere Strafanzeigen gegen Köhler stellen müssen.

Mehr noch: Gröhe hatte den Kassenärzten vor wenigen Tagen ein Ultimatum gestellt. Wenn sie am Montag keine juristischen Schritte gegen ihren früheren Frontmann Köhler eingeleitet hätten, dann wäre die KBV unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt worden. Auch das wäre ein einmaliger Vorgang. Ein „Staatskommissar“ – das wäre für die Ärzte, die sich ohnehin permanent von Staat und Krankenkassen gegängelt fühlen, unerträglich gewesen. Allerdings versuchte Gröhe, sich mit seinen Drohungen auch selbst aus der Schusslinie zu bringen. Denn die Skandale bei der KBV konnten auch geschehen, weil das Gesundheitsministerium jahrelang nicht richtig hingeschaut hat.

„Einen Staatskommissar brauchen wir nicht“, sagte Andreas Gassen, der amtierende Chef der KBV und Nachfolger Köhlers, gestern. Der Vorsitzende der KBV-Vollversammlung, Hans-Jochen Weidhaas, zeigte sich zuversichtlich, dass Gröhe keinen Kommissar schicken wird. Die „Sachverhalte“, die der Minister kritisiere, werde man „weiter aufklären“. Wie es zu den zweifelhaften Pensionszahlungen kommen konnte, dazu wollte Weidhaas, der an den Verträgen mit Köhler mitwirkte, aber nichts sagen.

In den Beschlüssen der Kassenärzte, mit denen sie nun juristisch gegen ihren Ex-Chef vorgehen wollen, heißt es, die Verträge mit Köhler seien „im irrigen Glauben“ abgeschlossen worden: Die zuständigen Vertreter der KBV wussten nicht, was sie dem KBV-Chef damals zugestanden haben. Dazu gehörte etwa das Recht, „jederzeit aufgrund eigener Entscheidung in den Ruhestand zu treten“ und dann bis zum 63. Lebensjahr fürs Nichtstun rund 230.000 Euro Jahresgehalt zu bekommen. Auch die zu viel gezahlten Ruhegehälter an die anderen KBV-Mitarbeiter will sich die Organisation notfalls von Köhler zurückholen. Für die zweifelhaften Immobiliengeschäfte liegt nun ein „Gesamtkonzept“ vor, das den Forderungen des Ministeriums entspricht. Wie allerdings das zerrüttete Verhältnis zwischen den beiden aktuellen Vorständen an der Spitze der KBV repariert werden kann, dazu gibt es keine Lösung. Die Vizechefin, Regina Feldmann, machte im Beisein von KBV-Chef Gassen deutlich, sie wolle nicht länger die „Frühstücksdirektorin“ spielen. Entweder man schaffe ihren Posten ab, oder sie müsse mehr Macht bekommen.

Auch über Gesundheitspolitik tauschten sich die Kassenärzte aus. Sie kritisieren die „häufig völlig unkoordinierte Inanspruchnahme“ ärztlicher Leistungen durch die Patienten, wie Gassen es formulierte. Feldmann regte eine Diskussion über niedrigere Kassenbeiträge in ländlichen Regionen an, weil die medizinische Versorgung dort schlechter sei.