Paris.

Zu Dutzenden liegen in weiße Schutzanzüge gehüllte oder mit silberner Folie bedeckte Menschen auf dem Spielfeld des Fußballstadions von Toulouse. Ärzte und Feuerwehrleute mit Atemmasken kümmern sich um sie, während im Hintergrund schwer bewaffnete Ordnungskräfte die letzten Zuschauer evakuieren. Zwei Hubschrauber kreisen über dem Geschehen, Sirenengeheul zerreißt die Luft.

Es war ihr eigener, ihr schlimmster Albtraum, den die französischen Sicherheitskräfte vor wenigen Tagen in Toulouse in Szene setzten. An der Übung, bei der ein terroristischer Angriff simuliert wurde, nahmen Polizei, Gendarmerie, Armee, Feuerwehr, Notärzte und Hunderte Freiwillige teil. Beinahe zeitgleich erfolgten dabei simulierte Bombenanschläge auf den Flughafen der südfranzösischen Stadt und auf die in deren Zentrum eingerichtete Fanmeile sowie ein Giftgasangriff auf die Fußballarena „Stade Municipal“, welche zu den Austragungsorten der am 10. Juni beginnenden Fußball-Europameisterschaft zählt.

Die Angst vor einem Anschlag auf die EM in Frankreich ist seit den Pariser Attentaten vom 13. November groß. Sie ist noch gestiegen nach der Festnahme des Islamisten Mohamed Abrini, der an den Brüsseler Anschlägen im März beteiligt war. Der soll Abrini enthüllt haben, dass eigentlich nicht Brüssel, sondern die EM das nächste Anschlagziel der französisch-belgischen Dschihadistengruppe gewesen sei.

Präsident François Hollande hat für die EM „maximale Sicherheit“ versprochen. Er wollte das Ereignis im eigenen Land auf keinen Fall abblasen, obwohl er im Stade de France saß, vor dessen Eingängen sich im November beim Freundschaftsspiel Frankreich gegen Deutschland drei Terroristen in die Luft sprengten. Wenige Minuten später griffen zwei weitere Killerkommandos Pariser Bars und den Konzertsaal Bataclan an. 130 Menschen fielen der Anschlagsserie zum Opfer. Laut Hollande befinde sich Frankreich im Krieg mit den Terroristen.

Auch Geisterspiele ohne Publikum sind bei Anschlagsgefahr denkbar

Tatsächlich soll die EM mit drakonischen Sicherheitsmaßnahmen abgeschirmt werden. Um das Fußballfest – aber auch den Nationalfeiertag (14. Juli) und die Tour de France – mit allen verfügbaren Kräften schützen zu können, will die Regierung den im November verhängten Ausnahmezustand bis Ende Juli verlängern. Mit anderen Worten: Obwohl sich Polizei, Gendarmerie und Armee schon längst vor ihre Belastungsgrenzen gestellt sehen, werden sie weiterhin mit mehr als 10.000 Mann Tag und Nacht öffentliche Einrichtungen, Touristenattraktionen, Flughäfen, Bahnhöfe, die Pariser Metro und Gotteshäuser bewachen.

Um die Mammutaufgabe zu bewältigen, vom 10. Juni bis zum 10. Juli 51 Spiele in zehn Städten rigoros zu überwachen, wurde ein Budget von 400 Millionen Euro bereitgestellt sowie Tausende private Sicherheitskräfte engagiert. Zusätzlich zu den sehr strengen Eingangskontrollen an den Stadien sind erste Sicht- und Gepäckkontrollen schon weit vorher an Absperrungen auf sämtlichen Zufahrtswegen geplant. Wobei sich Regierung und Veranstalter vorbehalten, bei konkreter Anschlagsgefahr auch Geisterspiele ohne Publikum stattfinden zu lassen.

Doch die Stadien, die sich laut einem hohen Polizeioffizier „relativ leicht absichern lassen“, sind nicht das größte Problem. Ungleich mehr Sorgen machen den Verantwortlichen die landesweit geplanten Fanmeilen, wo im Verlauf des Turniers rund sieben Millionen Besucher erwartet werden. Zwar versprach Premierminister Manuel Valls, dass alle Public-Viewing-Veranstaltungen dank Zugangskontrollen, Metalldetektoren und Überwachungskameras gesichert werden. Aber das ist leichter gesagt als getan. Schon weil der Zugang zu den Fanmeilen jedem offensteht, bezeichnen Sicherheitsexperten sie als ideale Ziele für Attentäter.

„Große Menschenansammlungen stehen aus der Sicht von Terroristen für ein Maximum an potenziellen Opfern“, warnt der ehemalige Geheimdienstoffizier Jean-Charles Brisard. Auch der Terrorismusexperte Alain Bauer ist beunruhigt: „Wo und wann Public Viewing stattfindet, ist bereits jetzt bekannt. Folgerichtig haben mögliche Attentäter alle Zeit der Welt, die Orte auszukundschaften und ihre Anschläge detailliert vorzubereiten.“

„Je größer, desto gefährlicher“, meint mit Frédéric Péchenard ein Führungsmitglied der konservativen Republikaner-Partei. Den früheren Polizei-Generaldirektor entsetzt vor allem, dass das gesamte Marsfeld am Pariser Eiffelturm in eine gigantische Fanmeile für 100.000 Besucher verwandelt werden soll. „Das bedeutet, den Terroristen die Möglichkeit für ein Massaker auf dem Silbertablett zu servieren“, schimpft Péchenard.