WIEN/BERLIN .


Norbert Hofer wirkt zerbrechlich. Er geht am Stock. Ein ganzes Jahr hat der Flugbauingenieur nach einem Absturz mit einem Paraglider 2003 in Kliniken verbracht. Nun lächelte Hofer, 45, viel im Wahlkampf, erzählte nette Geschichtchen. Von seiner Katze zum Beispiel, die eigentlich lieber ein Hund sein will und stets zu bellen versucht. Hofer stellte Kinderfotos von sich ins Netz. Seine zweite Ehefrau postete Selfies vom Frühstückstisch. Norbert Hofer zeigt, wie weich sich harte Rechtspopulisten geben können. Und wie erfolgreich man damit sein kann.

Für die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) holte Hofer bei der Wahl zum Bundespräsidenten am Sonntag 35,1 Prozent der Stimmen – ein Rekord für die FPÖ. Und Platz eins. Eine Stichwahl gegen Grünen-Kandidaten Alexander van der Bellen Ende Mai entscheidet, welchen Weg Deutschlands Nachbar einschlägt: nach links oder nach rechts außen.

Rechtspopulisten sind mit Protest EU-weit erfolgreich

Hinter der Höflichkeit Hofers hatte die FPÖ unter dem europakritischen Slogan „Österreich zuerst“ Stimmung auch in der Flüchtlingspolitik gemacht. Die FPÖ wurde aber nach ersten Analysen auch zu einem Sammelbecken der Protestwähler. „Es war eine Anti-System-Wahl. Die Menschen sind unzufrieden, wie die Demokratie gestaltet wird“, kommentiert der Politikberater Thomas Hofer.

Der Protest von rechts ist in ganz Europa auf dem Vormarsch. In Frankreich hat der rechtsextreme Front National Chancen auf das Präsidentenamt, in Ungarn regiert die völkisch-nationale Fidesz-Partei, in Finnland, Lettland, der Slowakei und in Litauen bilden Rechte die Regierung mit. In Schweden liegen die nationalistischen Schwedendemokraten in Umfragen vorn. Und in Deutschland triumphierte die AfD mit Anti-Asyl-Stimmung zuletzt bei Landtagswahlen.

Und so feiert die europäische Rechte den Erfolg in Österreich als „Erfolg einer patriotischen Bewegung“, wie Front-National-Chefin Marine Le Pen sagte. „Unser politischer Verbündeter in Österreich hat damit ein weiteres deutliches Zeichen gesetzt, bravo“, sagte das AfD-Vorstandsmitglied An­dré Poggenburg. Doch ähnlich wie Deutschlands AfD profitierte Hofers FPÖ laut Wahlanalysen auch vom Zuspruch durch Arbeiter und Angestellte – eine klassische Wählergruppe linker oder sozialdemokratischer Politik. 72 Prozent der Arbeiter wählten die FPÖ. Die sozialdemokratische SPÖ kam dort auf nur zehn Prozent. 37 Prozent der Angestellten wählten FPÖ. Auch hier Platz eins. Auf ihrer Webseite nennt sich die FPÖ die „soziale Heimatpartei“. Im Parteiprogramm erhebt sie den Anspruch, „vor Existenznöten, die sich durch Alter, Behinderung, Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit oder durch schwere Schicksalsschläge ergeben können, zu schützen“. Sie setzt sich für Kinderrechte, Tierschutz und gegen Kernkraft ein – Kampagnen, die grün oder links klingen, mit denen längst auch Rechtspopulisten in EU-Staaten punkten.

Auch Hofer schrieb maßgeblich am Programm der FPÖ mit. Laut Wahlforschern war der Schlüssel zum Erfolg dessen hohe Glaubwürdigkeit.

Der Ton der Partei ist eine Mischung aus völkisch-nationaler Politik sowie restriktiver Gesellschaftspolitik. „Masseneinwanderung“ und „Multikulti“ lehnt die Partei ab, auch die Gleichstellung der Homo-Ehe. Kriminelle „Fremde“ sollen abgeschoben, muslimische Kindergärten und Moscheen beobachtet werden. „Österreich ist kein Einwanderungsland“, heißt es. Es liest sich wie ein Anti-EU-Programm. Und es trägt Hofers Handschrift. Mit nur 23 Jahren zog er in die Landeshauptstadt Eisenstadt und damit ins politische Geschäft, wurde Stadtparteichef und Stadtrat. Es waren die Jahre, in denen der extrem rechte Parteichef Jörg Haider aufstieg. Zu dessen Entourage gehörte Hofer nicht. Aus der klassisch-freiheitlichen Szene des Burgenlands, die ihn sozialisierte, brachte er eher Skepsis gegen den selbstverliebten Politstar mit sich. So richtig schlug Hofers Stunde erst, als Haider 2005 mit der Partei brach.

Erschrockene Wähler machen gegen die Populisten mobil

Statt Haider’scher Frivolität waren nun Grundsatztreue, Rückkehr zu „freiheitlichen Werten“ und Bekenntnisfreude angesagt. Doch Hofer nahm auch das Bekenntnis zur deutschen Nation wieder ins Programm und zog das Verbot der „nationalsozialistischen Wiederbetätigung“ in Zweifel. Es ist Hofers andere Seite, abseits des Lächelns. Bei Auftritten im kleinen Kreis von Parteifreunden soll auch er in FPÖ-Manier die Schuld an vielen österreichischen Problemen wie die steigende Arbeitslosigkeit Ausländern und Flüchtlingen zugeschrieben haben. Seinen Mitbewerber, den Ex-Grünen-Chef, nannte Hofer einen „faschistischen, grünen Diktator“.

Österreich ist polarisiert. Die Mitte – SPÖ und konservative ÖVP – hat es nicht in die Stichwahl geschafft. Die Sozialistische Jugend kritisierte SPÖ-Chef Werner Faymann, der glaube, bei der Flüchtlingspolitik mit einer „Politik aus Notstand und Zäunen der FPÖ das Wasser abgraben zu können“.

Im Internet machen Wähler gegen die Macht der Rechtspopulisten mobil. Aber die Parteien verweigern sich jeder Polarisierung. Das Motto: Unerkennbar bleiben, „für alle Menschen da“ sein. Am Wahlabend mochte niemand eine Empfehlung für den zweiten Wahlgang abgeben. „Enttäuscht“ sei er, sagte Bundeskanzler Faymann und gab zu verstehen, dass er „persönlich“ für den Grünen van der Bellen stimmen werde. Von der konservativen ÖVP war nichts zu hören. Neutralität und überparteiliche Attitüde eignen sich seit jeher, mögliche Absichten zu verschleiern: eine Koalition mit der FPÖ.


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