Hampton.

Im amerikanischen Englisch gibt es einen sehr anschaulichen Ausdruck dafür, wenn jemand etwas angekündigt hat und später eingestehen muss, dass es komplett anders gekommen ist. „He’s gotta eat his words“ – „Er muss seine Worte aufessen“. Nach Donald Trumps historischem Kantersieg bei den Vorwahlen in New Hampshire haben Dutzende republikanische Parteiführer und Strippenzieher den Mund voll bis zum Rand.

Monatelang hatten sie, und nicht nur das per se aufgeschreckte linke und liberale Amerika, den milliardenschweren Immobilienunternehmer als Treppenwitz abgetan. Obwohl die Umfragen seit Juni 2015 konstant anderes nahelegten, erklärten sie Trumps Dauerprovokationen gegen das „dumme Washington, das unser Land in den Abgrund führt“ für flüchtige Medienereignisse.

Die Wutbürger, die der New Yorker auf seinem Feldzug gegen illegale Einwanderer, Muslime, Frauen, Terroristen, Political Correctness und Verfechter des Freihandels auf sich einschwor, seien nur eine vorläufige Zeiterscheinung, hieß es regelmäßig.

35 Prozent Zustimmung quer durch alle Alters- und Sozialschichten, mehr als doppelt so viel wie der Zweitplatzierte John Kasich in New Hampshire erhielt, lassen die Verharmloser abrupt verstummen. „Kann Trump wirklich Präsidentschaftskandidat werden?“, lautet nicht mehr die häufigste Frage – sondern: Wer will ihn nach diesem Erdrutschsieg in Neuengland eigentlich noch aufhalten?

Für ältere weiße Wählersind Trumps Tiraden Manna

Landläufige Auffassung: Solange die auf den Plätzen zwei bis fünf um Aufmerksamkeit und Stimmen rangelnden Rivalen Kasich, Bush, Cruz, Rubio und Christie nicht aus ihrer Mitte heraus schleunigst EINEN gemäßigteren republikanischen Herausforderer benennen, wird Trump weiter triumphieren. Wenn sich bei den Demokraten obendrein der Sozialist Bernie Sanders gegen Hillary Clinton durchsetzt, sind seine Chancen, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, sehr gut.

Doch bis dahin gibt es noch mehrere Vorwahlen. Die nächsten in Nevada und South Carolina kommen dem 69-Jährigen entgegen: In den beiden Staaten findet sich ein hoher Prozentsatz älterer, weißer, schlecht gebildeter und männlicher Wähler, die Trumps Tiraden gegen Einwanderer und angebliche Jobvernichter aufnehmen wie Manna. „Trump hat die Zukurzgekommenen, die Globali­sie­rungsverlierer und die von Abstiegssorgen verfolgte Mittelschicht wie kein anderer Kandidat für sich begeistern können“, sagten zuletzt Experten der Denkfabrik Brookings.

Sie haben herausgefunden, dass es Trumpianer geradezu glücklich macht, wenn der dreimal verheiratete Unternehmer, der seit 25 Jahren auf der öffentlichen Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Klatschpresse tanzt, seine großspurigen Versprechungen macht. Noch am Wahlabend gab es genügend Kostproben. Unter seiner Präsidentschaft werde Amerika wieder an allen Fronten „zu einem Gewinner“, den die ganze Welt respektiere und fürchte. Für sich selbst beansprucht Trump die Rolle eines Vorstandsvorsitzenden, der den Konzern USA gegen China, Mexiko und Europa in Stellung bringt. „Ich werde der größte Arbeitsplätze-Präsident sein, den Gott je erschaffen hat.“

Weil viele Amerikaner Angst vor Terroranschlägen haben, hält Trump auch hier plakative Lösungen parat: Aus der Terrormiliz „Islamischer Staat“ werde er „die Hölle herausprügeln“. Tonlagen, die nicht präsidial klingen. Und gerade deshalb ankommen. „Er nennt die Dinge beim Namen. Er sagt einfach, was Sache ist“, erklärten gut zwei Dutzend Wähler vor einem Wahllokal in Portsmouth.

Was für Trump „Sache“ ist, dürfte in Europa manchem Schweiß auf die Stirn treiben. Beispiel Wirtschaft: Trump will das Handelsabkommen TTIP zu Fall bringen und Firmen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagert haben, zurück nach Amerika zwingen.

Von EU und Nato verlangt er pauschal mehr militärisches Engagement. Die Flüchtlingspolitik der EU bezeichnet er als „geisteskrank“. Nur Einreiseverbote und hohe Mauern können aus seiner Sicht vor Überfremdung und Terrorismus schützen. Trump will an der Grenze zu Mexiko einen acht Milliarden Dollar teuren Schutzwall bauen lassen.

Im Mittleren Osten plädiert er dagegen für Zurückhaltung. „Sollen sich die Russen doch mit Assad und dem ,Islamischen Staat‘ herumprügeln“, sagt Trump und prophezeit sich und der Welt ein gutes Verhältnis zu Russlands Präsidenten Putin. Warum? „Putin hat gesagt, ich sei brillant. Das spricht für eine gewisse Cleverness.“

Für große Teile des republikanischen Establishments ist die Aussicht auf einen Kandidaten Trump der Weltuntergang. Über 50 Prozent der eigenen und 70 Prozent der unabhängigen Wähler halten Trump als Person für abstoßend und unwählbar. Konservative Medien nennen ihn einen „Hochstapler“. Die „New York Daily News“ hob ihn gestern gar als „Gehirn-Toten“ in einer bizarren Fotomontage auf die Titelseite.

Die Sorge, dass die Republikaner durch Trump zerrissen werden könnten, erinnert an den Aufstieg des religiös-rechtsextremen TV-Kommentators Pat Buchanan. Er gewann 1996 die Vorwahl in New Hampshire. Die Republikaner setzten ihm in letzter Minute Bob Dole vor die Nase.

Bislang ist aber weit und breit kein Bob Dole in Sicht. Trump weiß das. „Menschen von New Hampshire, vergesst das niemals: Mit euch hat es angefangen“, sagte er Dienstagnacht. Es klang wie eine Drohung.