Berlin.

Seit Tagen das gleiche Bild. Russische Kampfjets fliegen Angriffe rund um die nordsyrische Stadt Aleppo, die letzte große Hochburg der Rebellen. Gleichzeitig rücken die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad vor. Die einstige Handelsmetropole liegt in Schutt und Asche.

Kein Wunder, dass Zehntausende Menschen Richtung Türkei fliehen, wo die Grenze aber nach wie vor geschlossen ist. Die Vereinten Nationen schlagen daher Alarm. Eine Belagerung von Aleppo könnte Hunderttausende Bewohner von der Lebensmittelversorgung abschneiden und zahlreiche von ihnen in die Flucht treiben, erklärte das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Hilfe in Genf. Sollten die Regierungstruppen und ihre Verbündeten auch den letzten Fluchtweg abschneiden, drohe die Nahrungsmittelversorgung für die 300.000 noch in der Stadt ausharrenden Menschen zusammenzubrechen.

Seit vergangenen September bombardieren russische Piloten Ziele in Syrien. Offiziell geht es dabei um die Bekämpfung von „Terroristen“. Nach Moskauer Lesart sind dies aber vor allem die Gegner von Assad. Die Kräfteverhältnisse haben sich seitdem zugunsten des Diktators von Damaskus verschoben.

An eine militärische Antwort denkt im Westen niemand

Und wer stoppt Russlands Präsident Wladimir Putin? Die Frage wird im Westen gar nicht gestellt. An eine militärische Antwort denkt jedenfalls niemand zwischen Washington, Brüssel und Berlin. Stattdessen kursieren Appelle und Beschwörungsformeln. Russlands Eingreifen in den Syrien-Konflikt „macht eine bereits sehr schlimme Situation noch schlimmer“, kritisiert EU-Ratspräsident Donald Tusk. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) formuliert es noch mit am schärfsten: „Wir sind in den letzten Tagen nicht nur erschreckt, sondern auch entsetzt, was an menschlichem Leid für Zehntausende Menschen durch Bombenangriffe entstanden ist, vorrangig von russischer Seite“, sagt sie. Der Kreml weist dies mit dem Hinweis zurück, dass es hierfür „keine stichhaltigen Beweise“ gebe.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) setzt einen indirekten Appell. „Wer immer auf eine militärische Lösung setzt, wird fünf Jahre weiteren Bürgerkrieg erleben. Das kann keine Alternative sein“, betont Deutschlands Chefdiplomat. Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, rügt Moskau. „Hinter den Angriffen auf Aleppo steckt ein menschenverachtendes Verhalten von Putin, Assad und Hisbollah-Milizen, die vom Iran gestützt werden“, sagte er dieser Zeitung. Offenbar bestehe das Ziel darin, die Opposition gegen Assad wegzubomben. Putin setze derzeit auf die militärische Karte. „Aber auch er wird erkennen müssen, dass es für Syrien nur eine politische Lösung gibt“, so Röttgen. Es scheint, dass Putin seit einiger Zeit eine zweigleisige Strategie fährt. Auf der einen Seite nimmt die russische Regierung an internationalen Friedensgesprächen teil, auf der anderen Seite versucht sie, auf dem Schlachtfeld Fakten zu schaffen. Im Schnitt gab es täglich mehrere Hundert Luftangriffe auf Ziele der syrischen Opposition. Trotzdem nahmen die Russen an der Wiener Syrien-Konferenz Ende Oktober teil – zusammen mit wichtigen Akteuren wie Amerika, Deutschland, der Türkei, dem Iran und Saudi-Arabien. Dort wurden bedeutende Punkte wie Waffenstillstand, Übergangsregierung, neue Verfassung und freie Wahlen festgezurrt. Moskau stand ebenso hinter dieser Vereinbarung wie hinter der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 Ende Dezember. Diese forderte vor allem den humanitären Zugang zu belagerten Gebieten in Syrien.

Das erste Mal blitzte Putins aggressiver Kurs im März 2014 auf. Damals überrumpelte er den Westen mit der Annexion der Halbinsel Krim. Es war eine handstreichartige Aktion von testosterongesteuerter Machtpolitik. Auch in der Ostukraine untermauert Russland seinen Einfluss mit einer Marschroute, die Politikexperten als „eingefrorenen Konflikt“ bezeichnen.

Obama hatte Assad nur mit„roten Linien“ gedroht

Die EU reagierte darauf mit Sanktionen gegen Russland, die zuletzt bis Juli verlängert wurden. Konservative Kommentatoren im Westen sehen bei Putin alte Machtmechanismen, die bis in sowjetische Zeit zurückreichen. Immerhin hatte der ehemalige KGB-Mann den Zusammenbruch der UdSSR 1991 einmal als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet.

Der Kreml-Chef kann auch deswegen auf der Weltbühne so auftreten, weil sich die amerikanische Regierung in Nahost weitgehend zurückhält. Nachdem Assad im August 2012 immer schwerere Waffen gegen die Opposition eingesetzt hatte, erklärte US-Präsident Barack Obama: „Ich habe bis jetzt kein militärisches Eingreifen angeordnet, aber für uns ist eine rote Linie überschritten, wenn eine ganze Menge chemischer Waffen bewegt oder eingesetzt wird.“ Als dies später doch passierte, herrschte in Washington Schweigen.

Nach der neuesten Eskalation in Aleppo ruhen die Hoffnungen auf der internationalen Syrien-Konferenz am Donnerstag in München. Russen, Amerikaner, Saudis und Iraner sitzen an einem Tisch. Außenminister Steinmeier stapelt erst einmal tief. Man mache sich „keine Illusionen“, unterstreicht er. Ziel sei aber eine „signifikante Reduzierung des Kampfgeschehens und Zugang zu humanitären Leistungen“. Es regiert das Prinzip Hoffnung.