Herzliya.

„Eine große Heldin“ sei sie, die das Leben anderer Menschen gerettet habe, sagte Israels Sicherheitsminister Gilad Erdan an diesem Donnerstagmorgen am Grab einer Grenzschutzpolizistin. Die 19-Jährige hatte ihre Ausbildung noch nicht ganz abgeschlossen, als sie am Dienstag in Jerusalem von einem Palästinenser erschossen wurde. Gemeinsam mit zwei Kollegen überprüfte die Polizistin am Damaskustor zur Altstadt eine Gruppe palästinensischer Männer, als zwei auf sie zielten. Die Polizei erwiderte das Feuer, auch die Angreifer starben.

„Die Grenzpolizisten haben einen verhängnisvollen Anschlag verhindert“, sagt Minister Erdan wenig später bei einem Vortrag an der IDC-Privatuniversität in Herzliya bei Tel Aviv. Denn bei den Terroristen am Damaskustor war neben Messern und halbautomatischen Gewehren auch Sprengstoff gefunden worden.

Seit Mitte September wird Israel beinahe täglich von Anschlägen erschüttert, bei der meist junge und einzeln agierende Täter ihre Opfer attackieren. 29 Juden, ein Ausländer und ein Palästinenser wurden laut dem israelischen Außenministerium inzwischen von Terroristen getötet. 302 Menschen wurden verletzt. Allein 117 Messerangriffe gab es, den letzten am Donnerstag, als zwei 13-jährige arabische Mädchen einen Sicherheitsmann bei Tel Aviv mit Messern attackierten.

Bei den Einzeltätern sprechen Terrorismusexperten von „einsamen Wölfen“. Ein Phänomen, mit dem sich nun auch eine Konferenz der IDC-Universität und der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) beschäftigt hat. IDC-Terrorismusexperte Boaz Ganor unterscheidet zwischen drei verschiedenen Tätermustern: Neben den einsamen Wölfen gibt es die begrenzte lokale Gruppe und die große, verzweigte Organisation. Während der verursachte Schaden bei Einzeltätern relativ gering sei, hätten die Behörden bei ihnen aber die größten Probleme, sie vorher zu entdecken.

In sozialen Medien kündigen junge Palästinenser ihren Tod als Shaheed (Märtyrer) an. Hier lernen sie, wie man Klingen präpariert und wie man zustechen muss, um den größten Schaden anzurichten. Hier sehen sie, wie niedergeschossene Kinder als heilige Helden gefeiert werden, die zur Nachahmung aufrufen. Ariel Merari, emeritierter Psychologieprofessor an der Universität Tel Aviv, hat die Beweggründe von verhinderten Selbstmordattentätern während vergangener Terrorwellen erforscht: 40 Prozent hatten ohnehin – also aus persönlichen Gründen – Selbstmordabsichten. Der Märtyrertod soll der Existenz der Täter nachträglich eine höhere Bedeutung geben. Dazu passt: Rund die Hälfte der Angreifer während der aktuellen Anschlagserie wurde bei ihren Taten erschossen. 80 Prozent sind jünger als 26 Jahre.

Deutschland erlebt gerade, wie widerspenstig Facebook, Twitter und Co. beim Entfernen von Hasskommentaren gegen Minderheiten sind. In Israel ist es nicht anders – nur sind die Folgen der Hetze noch gefährlicher und direkter. „Wir denken über alles nach, um das zu stoppen“, sagt Sicherheitsminister Erdan. Auch eine Sperrung des gesamten Internets im Westjordanland habe seine Regierung erwogen. Die Israelis versuchen, die sozialen Medien zu überwachen und – verdeckt – die Kommunikation zu steuern. „Wir brauchen neue rote Linien“, sagt Erdan; gleichzeitig sei es schwierig zu bestimmen, wo freie Meinungsäußerung aufhört und Anstiftung zum Mord beginnt.

Die bittere Einsicht des Ministers: „Wir werden nie in der Lage sein, alles zu covern. Am Ende liegt es auch in der Verantwortung der Konzerne.“ Facebook will nun den privaten Handel von Feuerwaffen in den USA über das Netzwerk unterbinden. „Erstaunlich“, sagt Erdan, „plötzlich sind sie dazu in der Lage und haben die Manpower, und das ganz ohne Gesetzgebung!“

Viele junge Palästinenser haben keinen Kontakt mehr zu Israelis

„Wir wussten schon Anfang 2015, dass die Situation bei den Palästinensern explosiv ist und dass es jederzeit eskalieren kann“, sagt Major-General Sami Turgeman, ehemaliger Kommandeur der Südfront bei den israelischen Streitkräften in Herzliya. Diese Welle der Gewalt könne sich sogar noch verstärken, wenn man die Lebensumstände der Palästinenser nicht verbessert. Ein Problem sei auch, dass es kaum mehr Kontakt gibt zwischen ihnen und Israelis. „Viele wissen doch gar nicht, wer wir sind.“ Der Stillstand im Friedensprozess und der Siedlungsbau frustrieren die palästinensische Jugend, gleichzeitig fühlen sie sich von ihrer eigenen Führung im Stich gelassen.