Berlin. Verteidigungsministerin von der Leyen warnt vor Allianz von Islamisten in Afrika und setzt auf mehr deutsches Engagement. Wie das aussieht, ist unklar

Der Körper des Mannes hängt leblos an dem Gerüst. Seine Arme und Beine haben die Terroristen mit Kabelbinder an die Eisenstangen geschnürt. Über das Internet haben Propagandisten des selbsternannten „Islamischen Staates“ das Foto aus der libyschen Stadt Sirte verbreitet. Der Getötete sei Spion gewesen, heißt es. Seine Kreuzigung soll eine Machtdemonstration der Terrorgruppe in der Region sein. Eine Region, in der die Islamisten ein neues „Kalifat“ errichten wollen. Ein „Ersatzkalifat“ in Libyen – sollte der IS in Syrien und Irak militärisch besiegt werden, sagen manche.

Der Westen blickt seit Jahren besorgt auf Libyen. Zuletzt hatte der IS in dem nordafrikanischen Land stark an Boden gewonnen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat nun Deutschlands Verantwortung in der Region angemahnt und auch einen Einsatz der Bundeswehr in dem Krisenstaat nicht ausgeschlossen. Das Wichtigste sei jetzt aber, dafür zu sorgen, dass Libyen eine funktionsfähige Regierung bekomme, sagte von der Leyen der „Bild“. „Deutschland wird sich nicht der Verantwortung entziehen können, dabei einen Beitrag zu leisten.“ Eine neue Regierung in Tripolis werde dann schnell Hilfe benötigen, Recht und Ordnung durchzusetzen. Wie die Hilfe aussehen soll, ließ von der Leyen allerdings völlig offen.

Seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi 2011 und dem militärischen Eingreifen durch die USA und andere verbündete Staaten herrscht Bürgerkrieg in Libyen. In dem ölreichen Land gibt es derzeit zwei Regierungen und zwei Parlamente sowie zahlreiche verfeindete Milizen. Und der IS kontrolliert mittlerweile einen 300 Kilometer langen Küstenstreifen.

Als die Westmächte mit Rückendeckung eines UN-Mandats 2011 in Libyen mit Luftschlägen eingriffen und die Oppositionsrebellen gegen Gaddafi unterstützten, hielt sich Deutschland aus dem Kriegseinsatz raus. Nun aber bekommen die Pläne für ein Engagement neuen Schwung. „Konkrete Überlegungen“ gebe es derzeit nicht, heißt es allerdings auf Nachfrage im Verteidigungsministerium. Noch sei „die Stunde der Diplomatie“. Erst im Dezember haben Libyens Konfliktparteien einen Friedensplan unterzeichnet. Das Papier sieht die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit vor, um die verfeindeten Lager zu befrieden.

Ein Einsatz von Militär oder gar Bodentruppen in Libyen wäre derzeit enorm gefährlich – noch heikler als eine Mission in Syrien, da laut Experten in den Händen der verschiedenen Milizen auch schweres Kriegsgerät aus den Beständen der gut gerüsteten Gaddafi-Armee ist. Nach Informationen des Abendblattes gibt es jedoch vor allem im Auswärtigen Amt, aber auch im Verteidigungsministerium zumindest Erwägungen für eine Ausbildungsmission libyscher Soldaten durch die Bundeswehr. Das Training solle dann aber nicht in Libyen selbst absolviert werden, sondern im Nachbarstaat Tunesien, wo die Sicherheitslage deutlich stabiler ist. Dort wären dann auch Soldaten der Bundeswehr stationiert, möglicherweise bis zu 200 Kräfte, wie auch der „Spiegel“ berichtete. Am Mittwoch soll eine solche Hilfsmission nach Informationen des Abendblattes bereits im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags Thema gewesen sein. Doch auch in der Sitzung mit Staatssekretär Markus Ederer blieb vieles vage.

Offiziell heißt es im Außenministerium in Berlin auch nur, dass sich in Libyen „zurzeit alle Bemühungen auf die Bildung einer Einheitsregierung“ konzentrierten. Alles andere sei Spekulation. SPD-Außenexperte Niels Annen hält einen Einsatz der Bundeswehr in Tunesien für weitaus denkbarer als in Libyen. „Die Italiener engagieren sich schon seit Jahren sehr aktiv in der Region und erbitten mehr Unterstützung durch westliche Staaten wie Deutschland“, sagte Annen dem Abendblatt. Doch für einen Bundeswehreinsatz brauche es Frieden in Libyen und eine libysche Regierung, die das auch wolle. Annen hält die Bundeswehr für fähig, eine solche Mission zu übernehmen. Der Bundeswehrverband wollte sich zu möglichen Plänen nicht äußern.

Opposition nennt den Vorstoß der Ministerin „verantwortungslos“

Die Opposition übt scharfe Kritik an von der Leyens Äußerung. „Ein Einsatz der Bundeswehr in Libyen wäre verantwortungslos“, sagte der Außenexperte der Linksfraktion, Jan van Aken, dem Abendblatt. Eine Militärmission würde das Land „weiter in einen Krieg ziehen“. Und auch eine Ausbildungsmission libyscher Soldaten in Tunesien sieht van Aken kritisch. „Wen sollen deutsche Soldaten ausbilden? Mit welchem Ziel?“

Die Bundeswehr beteiligt sich in Afrika bereits an einem UN-Einsatz in Mali, das ebenfalls von islamistischen Extremisten bedroht wird. Verteidigungsministerin von der Leyen warnte nun davor, dass der IS in Libyen die Verbindung zur Islamisten-Organisation Boko Haram im zentralen Afrika suche. „Wenn das gelingt, dann entsteht eine Achse des Terrors, die weite Teile Afrikas destabilisieren kann. Die Folge wären neue Flüchtlingsströme. Das dürfen wir nicht zulassen.“ Auch in anderen Regionen des Kontinents verbreiten Islamisten Schrecken – etwa die Gruppe Ansar Dine, die gemeinsam mit Tuareg-Rebellen in Nordmali agiert. Libyen wird zudem von al-Qaida als Rückzugsort genutzt. Die Sicherheit in der Region ist auch für die Terrorgefahr in Deutschland relevant.

Und noch aus einem anderen Grund ist Stabilität in der Region für Deutschland wichtig. 2015 hatten sich 150.000 Menschen auf den Weg über das Mittelmeer nach Italien gemacht. Die Bundeswehr beteiligt sich derzeit mit zwei Schiffen und 272 Soldaten an der EU-Operation „Sophia“ im Kampf gegen Schlepper. Noch zu Zeiten der Diktatur war Gaddafi für Europa strategischer Partner, um Flüchtlingsbewegungen in die EU abzufangen. Linken-Politiker van Aken vermutet deshalb hinter dem Vorstoß der Ministerin auch einen einfachen Gedanken: Deutschland helfe einer neuen Regierung bei der Ausbildung von Soldaten. „Im Gegenzug nimmt Libyen Flüchtlinge aus Europa zurück oder hält sie ganz von der Flucht in die EU ab.“ Belege gibt es auch dafür bisher nicht.