Brüssel. Gegen den Plan der Brüsseler Kommission, eine gemeinsame Truppe auch gegen den Willen der betroffenen Länder einzusetzen, formiert sich Widerstand

Der Zwangseinsatz von EU-Grenzern ist der umstrittenste Punkt im Vorschlag der EU-Kommission für ein verstärktes gemeinsames Management der Außengrenzen. Hintergrund ist die stark lückenhafte Erfassung von Flüchtlingen in Italien und vor allem in Griechenland, wo dieses Jahr ein Großteil der mehr als 700.000 Ankömmlinge ohne viel Umstände nach Norden durchgewunken wurde.

Und noch nie haben so viele Menschen illegal die Außengrenzen der EU überschritten wie in diesem Jahr: Von Januar bis November waren es laut der europäischen Grenzschutzagentur Frontex 1,55 Millionen – fünfmal mehr als im ganzen Jahr 2014 (282.000). „Das ist fast doppelt so viel wie die Gesamtzahl in den letzten fünf Jahren“, sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. Nach den Vorstellungen der Kommission soll nun eine neue „Europäische Grenz- und Küstenschutzagentur“ aufgebaut werden. Nötig sei eine mindestens 1500 Mann starke Eingreiftruppe, die binnen drei Tagen eingesetzt werden kann, wo nationaler Grenzschutz versagt.

„In dringenden Fällen muss die Agentur in der Lage sein einzuschreiten, um sicherzustellen, dass vor Ort gehandelt wird, auch wenn es keine Hilfsanfrage des Mitgliedsstaats gibt“, heißt es in der offiziellen Ankündigung der Kommission. Einen solchen Antrag auf Unterstützung durch Frontex hatte Athen erst nach langem Zögern und auf massiven Druck der Mitgliedsstaaten hin gestellt. Timmermans verteidigte die geplante Frontex-Aufwertung vor dem Europa-Parlament. Es handle sich um „ein Sicherheitsnetz, das hoffentlich nie benutzt werden muss“. Die nationalen Behörden sollten mit der künftigen EU-Dienststelle zusammenarbeiten, damit es gar nicht erst zu Notsituationen komme.

Die Initiative entspricht einem Vorstoß Deutschlands und Frankreichs. Die Innenminister beider Länder, Thomas de Maizière (CDU) und Bernard Cazeneuve, hatten in einem Schreiben an den Ministerrat und die Kommission gefordert, dass „Frontex in Ausnahmesituationen auch die Initiative für den Einsatz von Soforteinsatzteams in eigener Verantwortung ergreifen“ solle. Gesetz wird der Kommissionsentwurf aber nur mit Zustimmung der Mitgliedsstaaten und des EU-Parlaments.

Die rechtskonservativen Regierungen in Polen und Ungarn haben bereits Widerstand angemeldet. Nach Auskunft von Diplomaten sind auch Tschechien, die Slowakei, Griechenland und Spanien auf Ablehnungskurs. Italien und Malta seien skeptisch, die erforderliche Mehrheit sei mithin fraglich.

In der endgültigen Fassung ihres Konzepts kam die Kommission den Bedenkenträgern ein kleines Stück entgegen: Die Grenz-Eingreiftruppe soll nur marschieren, wenn der zuständige Ausschuss mit Fachleuten aus den Mitgliedsstaaten mit qualifizierter Mehrheit zustimmt.

Im Parlament fielen die ersten Reaktionen gemischt aus. Die christdemokratische EVP-Fraktion und die Liberalen signalisierten Zustimmung, die Sozialdemokraten machten Einwände geltend, Grüne und Linke äußerten sich ablehnend. CSU-Gruppenchefin Angelika Niebler sagte, die EU-Kommission liege „absolut richtig, wenn sie ein stehendes Grenzschutzkorps vorschlägt, das nicht mehr aus nationalen Kontingenten zusammengebettelt werden muss. Die Sicherung der EU-Außengrenze darf nicht davon abhängig sein, ob ein einzelnes EU-Land willens oder dazu in der Lage ist.“

Für die Grünen erklärte Fraktionsvize Ska Keller, der Vorschlag sei Element einer europäischen Abschottungspolitik. Außerdem bleibe unerfindlich, wie widerstrebende Mitgliedsstaaten zur Kooperation gezwungen werden sollten. Die SPD-Europa-Abgeordnete Birgit Sippel warnte: „Ein starker Grenzschutz darf nicht zum Ausverkauf von Grundrechten führen.“