München. Im NSU-Prozess bestätigt die Hauptangeklagte Beate Zschäpe die Verbrechen des NSU – und beteuert ihre strafrechtliche Unschuld

248 Verhandlungstage lang, hat sich Beate Zschäpe vor den Kameras verborgen. Immer, wenn sie in den Gerichtssaal trat, eilte sie mit gesenktem Kopf zur Anklagebank. Immer stellte sie sich mit dem Rücken zu den Fotografen auf, während sie ihre Anwälte noch zusätzlich abschirmten. Doch am 249. Prozesstag ist alles anders. Zschäpe betritt den Gerichtssaal, das Haar offen, und sie dreht erstmals nicht ihr Gesicht weg. Sie geht zu ihrem Platz, sie gibt ihrem Anwalt Mathias Grasel die Hand, begrüßt auch Hermann Borchert, der erstmals neben ihr sitzt. Er ist ihr fünfter Verteidiger. Bevor Grasel beginnt, erklärt er, Zschäpe werde Fragen des Gerichts beantworten, aber schriftlich und auch nur in der nächsten Woche. Dann geht es los.


Kindheit in Jena
Die 1975 geborene Zschäpe lässt erklären, sie sei in prekären Verhältnissen aufgewachsen. Den Vater habe sie nie kennengelernt, betreut worden sei sie überwiegend von der Oma. Die Mutter trank, Geld fehlte, „was dazu führte, dass ich mich innerhalb des Freundeskreises an kleineren Diebstählen beteiligte“. Nach ihrer Ausbildung zur Gärtnerin fand sie keine Anstellung.


Die Uwes
Um die Wendezeit lernte Beate Zschäpe Uwe Mundlos kennen. „Wir hörten gemeinsam Lieder mit nationalistischem Inhalt … An meinem 19. Geburtstag lernte ich Uwe Böhnhardt kennen ... Ich verliebte mich in ihn.“ Als Mundlos 1994 zur Bundeswehr eingezogen wurde, sei sie dann mit Böhnhardt zusammengekommen. Er sei radikaler als Mundlos gewesen, habe Waffen besessen.“

Tino Brandt
Tino Brandt, der seit 1994 für den Thüringer Verfassungsschutz arbeitete, wurde 2001 von der „Thüringer Allgemeinen“ enttarnt. Nach eigenen Angaben bekam er 100.000 Euro von der Behörde. Zschäpe: „Tino Brandt wurde Mittelpunkt aller Aktionen ... Man könne sagen, ohne Brandt wären alle Unternehmungen unmöglich gewesen.


Bombenattrappen
Zwischen 1996 und 1997, sagt Grasel für Zschäpe, „gab es mehrere Aktionen, an denen ich beteiligt war“. Mit der Verwendung von Bombenattrappen sollte die Aufmerksamkeit erhöht werden. 1996 trennte sich Böhnhardt von ihr, worunter sie „sehr litt“. „In den folgenden Wochen versuchte ich, Böhnhardt wieder zurückzugewinnen. Deshalb mietete ich 1996 die Garage an, um dort Propagandamaterial zu lagern.“ Von der Existenz des Schwarzpulvers in der Garage habe sie erst 1997 erfahren, „von TNT wusste ich bis zum Untertauchen Anfang 1998 nichts“.


Die Überfälle

Ein knappes Jahr nach der Flucht beginnt die Serie von 14 Raubüberfällen, mit denen sich Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos ihr Leben im Untergrund finanzierten. „Ende des Jahres 1998 hatten wir kein Geld mehr. Die Uwes schlugen einen Raubüberfall vor, ich war einverstanden. Es wurde besprochen, dass die beiden ‚das Ding selbst durchziehen‘. Ich war nicht beteiligt, habe aber profitiert. Ich wusste nicht, dass sie eine scharfe Pistole verwenden ... Ich war entsetzt darüber.


Der erste Mord
Im Jahr 2000 begann die Mordserie, die neun Menschen türkischer und griechischer Abstammung das Leben kostete. Am 9. September wurde der Blumenhändler Enver Simsek an einer Ausfallstraße von Nürnberg erschossen. Zschäpe: „Ich wusste von nichts. Erst Mitte Dezember merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Uwe Mundlos berichtete mir, was passiert war. Ich war geschockt. Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt ... Bis zum heutigen Tag weiß ich die wahren Motive der beiden nicht.“

Bombenanschläge
Je länger Grasel vorliest, umso klarer wird: Zschäpe räumt so gut wie alle Taten der Anklageschrift ein, die Böhnhardt und Mundlos vorgeworfen werden. Sie selbst will aber nichts damit zu tun gehabt haben.

Der Mord an Michèle Kiesewetter
Im April 2007 wurde die aus Thüringen stammende Polizistin Michèle Kiesewetter mitten am Tag in Heilbronn erschossen. Ihr Kollege überlebte den Kopfschuss. Als ihr die beiden Uwes von dem Mord berichtet hätten, habe es diesen Dialog gegeben: „Nachdem ich wieder einen vernünftigen Gedanken fassen konnte, fragte ich nach dem Warum. Ich erhielt die unfassbare Antwort, dass es ihnen nur um die Pistolen der zwei Polizisten ging. Sie seien mit ihren Pistolen wegen häufiger Ladehemmungen unzufrieden gewesen.“


Das Ende
Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sterben 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach in ihrem Wohnmobil. Aus der Erklärung: „Sie waren überfällig. An diesem Freitag erfuhr ich über das Radio, dass in Thüringen ein Wohnmobil entdeckt worden sei, welches brennen würde, dass Schüsse gefallen seien und dass sich zwei Leichen im Wohnmobil befinden würden. Ich war mir sofort sicher, dass dieses Wohnmobil die beiden betraf und dass sie sich getötet hatten. In gewisser Weise war eine unglaubliche Leere in mir. Es war der Tag gekommen, vor dem ich mich immer gefürchtet hatte: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos werden nicht mehr zurückkommen.“


Die Flucht
Danach habe sie begonnen, den „letzten Willen“ der beiden umzusetzen. Sie habe einen Benzinkanister aus dem Keller genommen und habe versucht, die Nachbarn zu warnen. „Ich hätte auch niemals eine 89-jährige Frau in Gefahr gebracht.“ Der Vorwurf des versuchten Mordes sei haltlos. Danach habe sie das Feuer gelegt. Dass sie später die Umschläge mit den Bekenner-DVDs in Postkästen steckte, sei der Wunsch ihrer toten Freunde gewesen. „Ich hatte nur die Gedanken: Ich war jetzt alleine, ich hatte alles verloren, ich musste ihren letzten Willen erfüllen.“


Zur Anklage
Die Konsequenz aus den mehr als 50 Seiten, die Grasel verliest, soll wohl sein: Bis auf die schwere Brandstiftung in Zwickau ist Beate Zschäpe unschuldig. Strafrechtlich jedenfalls. Und es geht weiter: „Ich wünschte, dass Tino Brandt früher aufgeflogen, wir noch vor dem Untertauchen verhaftet und die vielen Straftaten nicht passiert wären. Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer der von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen Straftaten.“ Zschäpe beantragt erneut die Entpflichtung von Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm als ihre Verteidiger. Die Anwälte hätten sie zum Schweigen genötigt. Sie habe nicht die Kraft gehabt, sich dagegen zu wehren. Dann teilt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl mit, dass der Verhandlungstag am Donnerstag ausfalle. Das Gericht müsse sich in der Zwischenzeit auf die Fragen an Zschäpe vorbereiten.

Genauso hatte es die Hauptangeklagte gewünscht.