Hamburg. Der Vizepräsident des EU-Parlaments, AlexanderGraf Lambsdorff, über die europäischen Krisen

Der Vizepräsident des Europäischen Parlamentes, Alexander Graf Lambsdorff, hat vor einem Scheitern des europäischen Einigungsprojektes gewarnt. Der FDP-Politiker sprach als Gastredner des dritten Außenpolitischen Salons, den die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zusammen mit dem Hamburger Abendblatt veranstaltet. Das Thema war „Europa in der Krise“, es ging um Flüchtlinge, Griechenland und Brexit. Die lebhafte Diskussion mit den rund 50 geladenen Gästen im Übersee-Club, die sich an das Referat anschloss, moderierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke.

„Als Historiker weiß ich, dass große Staatenbündnisse und Reiche scheitern können, wenn es nicht genügend Einsatz der Mitglieder für das große Ganze gibt“, sagte Lambsdorff, Neffe des früheren Bundeswirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff (1926-2009) und Nachfahre des russischen Außenministers Wladimir Graf Lamsdorf, (1844-1907), dem Abendblatt. Und es gebe derzeit zu wenig Einsatz. Lambsdorff bezeichnete den neuen Nationalismus in Europa als „ernste Gefahr für das Einigungsprojekt“. Dem müssten alle entgegenzutreten.

Manche Nationalstaaten verharrten in Kirchturmdenken. Der Europapolitiker fügte hinzu: „Die Krisen in Europa machen eines deutlich – sie übersteigen in ihren Dimensionen die Möglichkeiten jedes einzelnen EU-Mitgliedes, ob das der Syrienkonflikt, der Flüchtlingszustrom oder die Terrorbekämpfung sei.“ Es sei nicht überraschend, dass Europa in der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen entlang der alten Trennlinien des Kalten Krieges auseinanderreiße.

„Die 40 Jahre der Trennung sind an den Staaten jenseits des Eisernen Vorhangs nicht spurlos vorübergegangen. Das waren abgeschottete Gesellschaften, die sich nicht an andere Gedanken und verschiedene Zuwanderergruppen gewöhnen konnten. Die Abwehrreaktion ist ja auch im Osten Deutschlands stärker als im Westen“, sagte Lambsdorff. Zur verbreiteten Kritik an der „Willkommenskultur“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte der Politiker: „Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ist ein Zickzackkurs, der nicht nur die Menschen im Land, sondern auch unsere europäischen Partner irritiert. Den menschlichen Impuls der Kanzlerin für eine Grenzöffnung kann ich nachvollziehen. Auch Merkels Satz: Wir schaffen das, ist im Prinzip in Ordnung. Aber das alleine reicht nicht, denn dann muss eine Bundeskanzlerin auch sagen, wie wir das schaffen sollen.“ Das, so Lambsdorff, habe sie nicht getan: „Die Menschen, die Behörden, die Städte und Landkreise sind überfordert, weil es kein Konzept gibt.“ Die Flüchtlingszahlen müssen sinken, forderte der Liberale. „Deutschland kann nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen.“

Dass sich unsere Gesellschaft durch Zuwanderung verändere, sei klar, sagte Lambsdorff, doch eines dürfe sich nicht ändern: „Die Werteordnung unseres Grundgesetzes ist nicht verhandelbar. Es darf keinen Import der Scharia, keine Parallelgesellschaften geben. Jeder, der sich an das Grundgesetz hält, kann bei uns glücklich werden, ob er in die Kirche, die Moschee oder die Synagoge geht oder am Feiertag lieber im Bett bleibt.“

Graf Lambsdorff findet es richtig, „dass die Bundesregierung nach den Terrorangriffen Frankreich gesagt hat: Wir sind solidarisch und beteiligen uns an der Bekämpfung des IS. Es kann nicht eine Arbeitsteilung in Europa geben, wobei England und Frankreich die schwierigen militärischen Aufgaben übernehmen und Deutschland alle Flüchtlinge aufnimmt. “ Benötigt werde aber eine Gesamtstrategie.

Russland dafür zu kritisieren, dass es nach Syrien gegangen ist, hält Lambsdorff für voreilig: „Der Westen hat vier Jahre lang zugesehen, was dort passiert, ohne etwas zu tun. Man kann aber kritisieren, wie Russland dort reingegangen ist – nämlich unkoordiniert.“