Berlin.

Für Peter Hintze, so klingt es an diesem Morgen, geht es um alles oder nichts: „Was ist das für ein Rechtsstaat, der um einen Scharlatan zu erwischen, Tausende verantwortliche Ärzte mit Strafe bedroht?“, fragt der CDU-Politiker mit bewegter Stimme seine Parlamentskollegen. Wer Sterbehelfern in Deutschland mit dem Strafrecht drohe, würde sterbewillige Patienten alleinlassen: „Der eine mag in die Schweiz fahren, der andere sich vor den Zug werfen.“ Viele Deutsche wünschten sich die Möglichkeit von Sterbehilfe. „Wir sind die Volksvertreter – vertreten wir das Volk!“

Weil sie längst ahnten, dass es für sie knapp werden würde, hatten sich die beiden Abgeordnetengruppen mit der liberalen Haltung in der Sterbehilfedebatte zuletzt verbündet, um gemeinsam den Mehrheitsantrag zu verhindern – der Effekt: Polarisierung. Die bislang so respektvolle Debatte wurde zum Abwehrkampf gegen ein strafrechtliches Verbot der Sterbehilfe. Dabei hatten sämtliche Gruppen ursprünglich dasselbe Ziel: Niemand soll in Deutschland Geschäfte mit dem Tod machen – das war die Vorstellung, mit dem der Bundestag vor über einem Jahr eine der wichtigsten ethischen Debatten der Republik aufs Neue gestartet hatte.

Seit Freitag steht fest: Wer Sterbehilfe geschäftsmäßig betreibt, soll mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Nach einer bewegten und teils scharfen Debatte stellte sich die Mehrheit der Abgeordneten hinter einen parteiübergreifenden Gruppenantrag, der Sterbehilfevereinen und Sterbehelfern das Handwerk legen will.

Juristen haben Zweifel, ob das Gesetz sein Ziel wirklich erreicht

Doch die Entscheidung ist kein Schlusspunkt – allenfalls ein Etappenziel: „Wir bringen damit eine längere, gründliche, sorgfältige parlamentarische Beratung vorläufig zu Ende“, erklärte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zu Beginn der Sitzung. Die öffentliche Diskussion aber werde damit nicht beendet sein. „Es bleibt nach dieser Debatte nichts, wie es war“, sagte auch Michael Brand (CDU), der zusammen mit der SPD-Politikerin Kerstin Griese für den am Ende erfolgreichen Entwurf geworben hatte.

Denn eines ist jetzt schon absehbar: Mit dem Verbot der geschäftsmäßigen, nicht zwangsläufig kommerziellen, aber auf Wiederholung angelegten Sterbehilfe eröffnen sich neue Fragen. Die wichtigste: Was bedeutet das Gesetz für Ärzte, zum Beispiel für Onkologen oder Palliativmediziner, die wiederholt Sterbehilfe bei einzelnen Patienten leisten? Fallen sie unter den Vorwurf der „Geschäftsmäßigkeit“? Viele Juristen haben Verfassungsbedenken und Zweifel, ob das Gesetz am Ende nicht die Falschen trifft. „Wir schaffen enorme Rechtsunsicherheit“, warnte die ehemalige Justizministerin Brigitte Zypries (SPD). „Wir werden eine Vielfalt von Prozessen bekommen.“ Der Verein Sterbehilfe Deutschland des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch kündigte am Freitag bereits eine Verfassungsbeschwerde an.

Vier Entwürfe standen im Bundestag zur Abstimmung: Sie reichten von einem vollständigen Verbot der Sterbehilfe über ein Verbot der geschäftsmäßigen Dienste von Vereinen und Sterbehelfern bis zur Einführung einer geregelten ärztlichen Sterbehilfe und der Erlaubnis von nicht kommerziellen Sterbehilfevereinen. Bereits im ersten Wahlgang bekam der Entwurf von Brand/Griese die Mehrheit der Stimmen – die strengste und die beiden liberalen fielen durch.

„Mann, Herr Kauder, hören Sie doch mal zu!“

Nicht nur Peter Hintze, auch Renate Künast hielt den Befürwortern einer strafrechtlichen Verschärfung die Mehrheitsmeinung der Deutschen entgegen. Sie fuhr regelrecht aus der Haut, als Unionsfraktionschef Volker Kauder sich vor ihr in der ersten Reihe in eine Plauderei mit seinen Nachbarn vertiefte. „Mann, Herr Kauder, hören Sie doch mal zu“, ärgerte sich die Grüne. „Das Thema ist doch ernst genug!“

Besser gar kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz – nach dieser Devise appellierten die am Ende unterlegenen Verfechter einer liberalen Regelung dafür, einfach alles beim Alten zu lassen und die straffreie Beihilfe zum Suizid für niemanden einzuschränken. Sie ernteten heftigen Protest: „Entschuldigung!“, fuhr Andrea Nahles (SPD) ihre Parlamentskollegen an. „Vor dieser Entscheidung dürfen wir uns nicht drücken! Wir können hinter diese anderthalb Jahre nicht zurück.“ Kein Gesetz zu machen, wäre das falsche Signal: Es hieße, Suizidhilfe als Antwort auf Schwäche und Schmerzen zu akzeptieren: „Das kann man wollen – ich will es nicht.“ Auch Kerstin Griese (SPD) betonte: „Die Antwort ist nicht der Giftbecher auf dem Nachttisch für einen einsamen Selbstmord.“

Bittere Töne mischten sich in den Streit um die Rolle der Ärzte: „Es wird mit Absicht Verunsicherung gestreut“, beklagte CSU-Mann Michael Frieser. Es gehe bei einem strafrechtlichen Verbot nicht um die Kriminalisierung der Ärzte. Auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) fuhr die Kritiker scharf an: Er und seine Mitstreiter wollten den Staatsanwalt ans Sterbebett holen? „Das ist der Debatte nicht würdig!“ Während sich die Mehrheit der Ärzteschaft für eine klare Absage an assistierten Suizid stark macht, gibt es auch Ärzte, die sich eine Einmischung des Staates verbitten. Mediziner Karl Lauterbach (SPD) glaubt nun, dass viele Ärzte aus Angst vor dem Staatsanwalt ihren sterbewilligen Patienten auch im Einzelfall nicht mehr beistehen werden: „Das macht kein Arzt mehr, das würde ich auch nicht machen.“