Berlin. Justizminister Maas warnt vor rhetorischer Brandstiftung. Auch andere Politiker befürchten nach Köln-Attentat eine Radikalisierung.

Nach dem Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker wächst die Sorge vor einer Verrohung des politischen Protests und einer Eskalation im Streit um die Flüchtlingsfrage. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) warnte im Abendblatt vor „rhetorischer Brandstiftung“. Der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, Peter Altmaier (CDU), rief zum Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit auf. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kritisierte die „zunehmende Radikalisierung der Debatte“.

„Der Anschlag ist verachtenswert und abscheulich“, sagte Kanzleramtschef Altmaier dem Abendblatt. „Auch wenn wir die genauen Hintergründe noch nicht kennen: Wir müssen uns zu jedem Zeitpunkt deutlich abgrenzen von jeder Form von Ausländerfeindlichkeit und Gewalt.“ Der Mordversuch von Köln steht für viele im direkten Zusammenhang mit der aufgeheizten Stimmung im Land: Jede Woche brennen Asylunterkünfte, auf den Straßen und im Internet verroht der Ton, aus Kritik wird Hass. Die bereits tot geglaubte Pegida-Bewegung gegen Flüchtlinge und Zuwanderer wächst wieder stark.

Maas warnt potentielle Gewalttäter

Maas warf der islamkritischen Bewegung vor, den Boden für Gewalttaten gegen Asylbewerber und Politiker zu bereiten. „Pegida geht es nicht um vermeintliche Ängste der Menschen, Pegida geht es um rhetorische Brandstiftung“, sagte der SPD-Politiker zum einjährigen Bestehen der Bewegung. „Pegida senkt die Hemmschwellen dafür, dass aus Worten Taten werden.“ Von dieser Verantwortung könne sich niemand frei machen, der sich an den Protesten beteilige. Es seien längst keine „besorgten Bürger“ mehr, die „den Galgen und Hitlerfratzen hinterherlaufen“.

Am Montag erneuerte Maas in Berlin seine deutliche Mahnung: „Pegida sät den Hass, der dann zur Gewalt wird.“ Zum Jahrestag der Pegida-Gründung findet am Montagabend eine Großkundgebung in Dresden statt. Vor diesem Hintergrund warnte Maas mögliche Gewalttäter. „Klar ist: Wenn es heute zu Straftaten kommt, wird das mit aller Konsequenz verfolgt“, erklärte der SPD-Politiker. Der Rechtsstaat werde vor Bedrohung und Verhetzung nicht zurückweichen. Maas ergänzte: „Niemand, der bei Pegida mitläuft, wird sich von der Verantwortung frei machen können, darin mitzuwirken, dass Hemmschwellen sinken.“

Maas betonte jedoch, die Hetze der Organisatoren sei ein Ansporn für alle Demokraten, umso entschiedener für eine offene und tolerante Gesellschaft einzutreten. „Deutschland ist bunter als uns die Schwarzmaler von Pegida vormachen wollen.“

Dresdener Polizei fordert Verstärkung an

Angesichts mehrerer für den Abend geplanter Gegendemonstrationen hat die Dresdener Polizei derweil Verstärkung aus anderen Bundesländern angefordert. Auch Beamte der Bundespolizei seien im Einsatz, sagte eine Sprecherin der Dresdener Polizei am Montag. Es werde insgesamt mit über 10.000 Demonstranten gerechnet. Die Zahl der eingesetzten Polizisten werde nicht bekanntgegeben. Nach Angaben der Dresdner Stadtverwaltung waren bis zum Freitag acht Demonstrationen neben der Pegida-Kundgebung angekündigt worden.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden sagte, derzeit würden mehrere Verdächtige im Zusammenhang mit der für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel bestimmten Galgenattrappe bei der Pegida-Demonstration vom vergangenen Montag vernommen. Die Strafverfolger ermitteln wegen des Verdachts der Störung des öffentlichen Friedens und der Aufforderung zu Straftaten.

Straßenwahlkampf auch weiter unverzichtbar

Seit Jahresbeginn hat es in Deutschland bereits mehr als 500 Angriffe auf Asylbewerber gegeben, immer wieder werden Politiker bedroht. Beim jüngsten Pegida-Protestmarsch waren Galgen gezeigt worden, die für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) reserviert seien. De Maizière zeigte sich besorgt über zunehmende Gewalt: „Dieser feige Anschlag in Köln ist ein weiterer Beleg für die zunehmende Radikalisierung der Flüchtlingsdebatte.“ Er sei schon „seit Langem besorgt über die hasserfüllte Sprache und gewalttätigen Aktionen“. Flüchtlinge, Helfer, Ehrenamtliche und Politiker würden angegriffen. De Maizière rief alle Bürger auf, sich sachlich an der Diskussion über die Aufnahme von Flüchtlingen zu beteiligen. „Nicht nur der Rechtsstaat muss hier mit voller Konsequenz reagieren, sondern die gesamte Gesellschaft ist aufgefordert, ein klares Zeichen gegen jede Form der Gewalt zu setzen.“ Die „abscheuliche Messerattacke“ auf Reker sei auch „ein Angriff auf unsere Demokratie und unsere weltoffene Gesellschaft“.

Auch die Grünen sehen in der Tat einen Angriff auf die Demokraten insgesamt: „Ihr kriegt uns nicht klein“, schrieb Grünen-Faktionschefin Katrin Göring-Eckardt auf ihrer Facebook-Seite. CDU-Generalsekretär Peter Tauber forderte die Bürger auf, sich gegen Aufrufe zur Gewalt zu wehren. „Das gilt für Galgen bei Pegida-Kundgebungen genauso wie für eine Guillotine bei der Demo gegen das Freihandelsabkommen“, sagte er der Zeitung „B.Z.“. FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete das Attentat als „feige und irrsinnige Tat, die letztlich allen gilt, die sich für die Demokratie engagieren“. Besorgt ist auch der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt: „Der Anschlag auf die OB-Kandidatin in Köln zeigt, dass sich die Anti-Asyl-Szene zunehmend radikalisiert.“ In den vergangenen Wochen waren immer wieder Kommunalpolitiker bedroht worden: Im März trat der ehrenamtliche Ortsbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt zurück – Markus Nierth sah sich nicht vor NPD-Protesten vor seiner Haustür geschützt. Er hatte sich für eine Unterbringung von Flüchtlingen eingesetzt.

Der scheidende Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) hält den Straßenwahlkampf auch nach dem Anschlag für unverzichtbar. Es sei wichtig, dass sich Kommunalpolitiker durch die Tat nicht unterkriegen ließen, sagte Roters. „Wir brauchen den offenen Dialog auf unseren Plätzen, auf unseren Straßen, zwischen Wählern und denjenigen, die kandidieren.“ Roters zeigte sich besorgt darüber, dass die Diskussion über die Frage der Zukunft der Zuwanderung „heftiger“ geworden sei. „Wir müssen alle gemeinschaftlich darauf achten, dass das Klima des Zusammenlebens nicht beschädigt wird und mit hoher Sensibilität bei aller Wortwahl vorgehen“, so Roters.