jerusalem. Nach den Terrorattacken zu Wochenbeginn bleiben der Regierung keine verlässlichen Mittel, um Anschläge zu verhindern. Angst vor einer neuen Intifada

Das Video ist tonlos und unscharf, weil es aus einiger Entfernung von einer Sicherheitskamera aufgenommen wurde, aber die Bilder, die später im Internet kursieren, sind auch so kaum zu ertragen: Ein Kastenwagen, der auf den Gehweg der Malchei-Israel-Straße in Westjerusalem rast und zwei Fußgänger an einer Bushaltestelle überfährt. Dann steigt der Fahrer aus und attackiert seine am Boden liegenden Opfer mit einem Fleischerbeil. Schließlich wird er von einem Sicherheitsmann erschossen.

Zu sehen ist eine von vier Terrorattacken am Dienstagmorgen in Israel. Die Palästinenser hatten vorher zu einem „Tag des Zorns“ aufgerufen. Seit rund zwei Wochen kein Tag ohne neue Anschläge. Eine dritte Intifada (arabisch „Abschütteln“) sei das noch nicht, hat es lange von Experten geheißen. Die Bluttaten und Krawalle seien nicht von oben organisiert und hätten nicht alle Palästinenser erreicht, vielmehr handele es sich um eine Reihe von Attacken sogenannter „einsamer Wölfe“, jungen Männern und auch Frauen, die nichts zu verlieren haben. Viele der Terroristen sind noch im Teenageralter, der jüngste gerade 13. Noch etwas ist auffällig: Unter den Steinwerfern, wie am Mittwoch in Bethlehem, sind viele Frauen, die Hosen tragen.

Alaa Abu Jamal, der Mörder aus dem Kastenwagen, war schon 40 Jahre alt, Vater von drei Kindern und seit einigen Jahren bei der israelischen Telekommunikationsfirma Bezeq angestellt. Schon im November 2014 hatte er vor einer Fernsehkamera über einen Terrorangriff auf eine Synagoge mit fünf Todesopfern gesagt: „Das ist normal, das kann man von jedem erwarten, der mutig ist und sich als Teil seines Volkes und des Islam sieht.“ Seine Motivation: Eine Mischung aus verletzten religiösen und nationalen Gefühlen, die allen Tätern dieser Tage gemein ist.

Es handelt sich um Einzeltäter,die zu einfachen Waffen greifen

Am Anfang der Terrorwelle, bei der bis Mittwoch sieben Israelis und 29 Palästinenser (inklusive zehn Angreifer) getötet wurden, stand der Streit um den Tempelberg, den die Araber al-Haram asch-Scharif („edles Heiligtum“) nennen. Um direkte Konfrontationen zwischen Muslimen und Juden dort zu vermeiden, hatten die Israelis separate Besuchszeiten eingeführt. Auch wenn Mitglieder der rechtsreligiösen Regierung von Benjamin Netanjahu mit Besuchen auf dem Plateau den Streit angefacht hatten, war immer klar: Das Beten für Nicht-Muslime soll verboten bleiben. Der Premier wiederholt ständig: „Der Status quo wird sich nicht ändern.“ Trotzdem hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas die Bedeutung des Heiligtums (für die Muslime synonym: Al-Aqsa) ausgenutzt. „Al-Aqsa ist unser. Sie (die Juden) haben kein Recht, es mit ihren schmutzigen Füßen zu entweihen. ... Wir preisen jeden Tropfen Blut, der für Jerusalem vergossen wird, das ist klares und pures Blut, das für Allah vergossen wird“, sagte der Palästinenserführer, bevor er vor der UN-Vollversammlung den Friedensprozess aufkündigte.

Abbas ist schwach, seit 2009 regiert er ohne demokratisches Mandat, in der Bevölkerung des Westjordanlands wünscht sich inzwischen eine Mehrheit, dass die Autonomiebehörde (PA) des 80-Jährigen aufgelöst wird. Die Gelegenheit, sich als Anführer eines Massenprotests zu profilieren, kam ihm gelegen. Auch wenn der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet nun sagt, Abbas unternehme alles, um mit seinen Sicherheitskräften weitere Terrorattacken zu verhindern, kann auch er die Lage nicht mehr beruhigen.

Und Abbas verurteilt den Terror nicht. Im Gegenteil: Auch von offiziellen Stellen werden getötete Terroristen als Märtyrer gefeiert und die Reaktionen der Israelis als einseitige Aggressionen ohne Vorgeschichte dargestellt.

Der Hass hat sich längst verselbstständigt. Angestachelt bei Facebook oder durch Terrorbotschaften von Hamas und Islamischem Dschihad ziehen immer weitere Palästinenser los, um mit Messern oder Schraubenziehern Menschen zu töten. Egal wen, Hauptsache Juden. Viele der Täter, so wie bei allen fünf Anschlägen vom Dienstag, kommen aus den vernachlässigten Stadtteilen Ostjerusalems und wurden nach den Oslo-Verträgen (1993/95) geboren, die Frieden, einen eigenen Staat und Wohlstand bringen sollten. Tatsächlich blüht in der West Bank die Korruption, sind 30 Prozent der Menschen zwischen 19 und 24 ohne Arbeit.

Israel bleiben gegen die „Intifada der Messer“, wie palästinensische Medien die Terrorwelle nennen, kaum noch Mittel. Gekämpft wird gegen Einzeltäter, die ihre Verbrechen mit denkbar einfachsten Tatwaffen verüben. Nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts kündigte die Regierung am Mittwoch an, dass die Polizei die arabischen Viertel in Ostjerusalem abriegeln oder über sie eine Ausgangssperre verhängen kann. 5000 Polizisten patrouillieren in der Stadt, nun soll auch der Einsatz des Militärs erleichtert, zudem eine Bewachung des Nahverkehrs organisiert werden. Kurzfristig bleibt abzuwarten, ob die Sicherheitsmaßnahmen greifen, langfristig muss die Hasspropaganda gestoppt werden und die Palästinenser brauchen eine bessere Perspektive. Doch die kann es nur geben, wenn sich internationale Vermittler für ernsthaft geführte Verhandlungen engagieren. Ob und wann es dazu kommt, ist unklar. Eine Delegation des Nahost-Quartetts musste ihren Besuch absagen, nachdem Israel erklärt hatte: Das ist derzeit sinnlos.