Dresden/Leipzig. Während in Dresden Pegida Erfolge feiert, hat die rechte Bewegung in Leipzig kaum eine Chance. Eindrücke aus zwei Sachsen.

Das Sinnbild der Menschenverachtung ist 1,20 Meter hoch, zusammengebastelt aus billigen Holzlatten, daran zwei dünne Stricke. „Reserviert“. Einer für Kanzlerin Angela Merkel, einer für SPD-Chef Sigmar Gabriel. So steht es auf den Zetteln, die am Strick baumeln. Ein Demonstrant trägt den Mini-Galgen durch die Dresdner Innenstadt. Es ist Montagabend, die Pegida-Bewegung marschiert durch die sächsische Landeshauptstadt. Zwischen 7500 und 9000 selbsternannte „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendblandes“ sollen es diesmal sein. Es waren schon mal 25.000, und auch mal nur ein paar Hundert. Doch seit Deutschland wieder von Obergrenzen für Asyl und nicht mehr über Septembermärchen der Hilfe redet, haben die Islamfeinde Aufwind.

Auf der Bühne von Pegida fordert die frühere AfD-Politikerin Tatjana Festerling eine Abspaltung des Freistaates Sachsen von der Bundesrepublik – einen „Säxit“. Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann nennt die schwarz-rote Regierung „unsere Berliner Diktatoren“ und kritisiert deren Asylpolitik. Eine „Kehrtwende“ sei notwendig, es müsse „unanttraktiver werden, in Deutschland Asyl zu beantragen“. Seine Worte sind oft dieselben, seit Monaten. Von diesem Montagabend bleibt vor allem das verstörende Bild des Galgens.

Und es löst eine Debatte darüber aus, was eine Demokratie noch als Meinungsfreiheit tolerieren muss. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den noch unbekannten Pegida-Anhänger wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Störung des Öffentlichen Friedens. Auch Versammlungsfreiheit habe Grenzen, sagt Staatsanwalt Jan Hille der „Bild“-Zeitung. Dem Galgenbauer drohen drei Monate bis fünf Jahre Haft.

Auf Facebook nennt Pediga-Frontmann Bachmann die Debatte über den Galgen eine „unfassbare Übertreibung“ der „Lügenpresse“. Anders ist die Reaktion der Politik. „Da werden Grenzen überschritten“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionfraktion, Michael Grosse-Brömer. . Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, spricht im „Tagesspiegel“ von einer „Verrohung des politischen Klimas“ in Deutschland. Schon am vergangenen Wochenende sollen Gegner des Freihandelsabkommens TTIP mit den USA eine Guillotine für Sigmar Gabriel gebastelt haben und damit auf der Demonstration in Berlin aufgefahren sein.

Pegida hat in Dresden ihre Hochburg. Die steigenden Flüchtlingszahlen und die Debatte über eine „Islamisierung“ Deutschlands haben eine lose rechte Bewegung enger zueinander gebracht. Die polarisierenden Themen machen es möglich, dass Rechtsextreme gemeinsam mit frustrierten und verängstigten Menschen auf einer Demo laufen. Bei der Bürgermeisterwahl in Dresden Anfang Juni bekam AfD-Politikerin Festerling fast zehn Prozent der Stimmen.

Pegida in Dresden, Hetze gegen Flüchtlinge in Freital, Brandanschläge auf Unterkünfte – manche Menschen in Sachsen haben für Tiefpunkte in der Notsituation gesorgt. Und am gestrigen Montagabend protestieren gerade einmal 200 Menschen gegen den Pegida-Aufmarsch.

Doch es gibt ein Gegenbild zu Galgen und Pegida-Protest. Gut einhundert Kilometer entfernt, in Leipzig, zu selben Zeit am Montagabend, als in Dresden die Islamfeinde auftreten.

Zum Frontkampf in der Flüchtlingskrise serviert die Kellnerin frischgezapftes Bier. Gerade schwingt sie mit einem mit einem Tablett voller Gläser aus der Tür vom „Café Wagner“ zu den Tischen auf dem Vorplatz. Ein paar Meter davor grenzen Absperrgitter die Bühne mit der Deutschland-Fahne ein, und der Redner flucht über Schlägereien in Asylunterkünften, berichtet von Frauen, die vergewaltigt würden. Nur sage das niemand, außer ihm. „Es wird verschwiegen, was nur geht.“ Von der Lügenpresse. Der Politik. Applaus. Doch in den Jubel mischen sich Pfiffe. 60 Meter entfernt skandieren Gegendemonstranten „Nazis raus“ und „Alerta Antifascista“, auch sie stehen hinter Absperrgittern. Dazwischen Polizisten. Und die Gäste im „Café Wagner“ sitzen in dicken Jacken vor Bier und Weißwein.

Irena Rudolph-Kokot, eine 40 Jahre alte Frau mit Rastazöpfen, steht hinter dem Absperrgitter, links im politischen Nahkampf. Die da drüben nennt sie wahlweise Unbelehrbare oder Rassisten. Und die da drüben nennen sich selbst „Legida“, der örtliche Ableger von „Pegida“. Die Pegida-Demos begannen vor einem Jahr in Dresden, seit Januar treten sie auch in Leipzig auf. Ritualisierte Wut. Doch ihr Erfolg ist begrenzt. „Legida“ hat die Demo angemeldet. Und Irena Rudolph-Kokot vom Bündnis „Leipzig nimmt Platz“ vier dagegen. Es waren auch schon mal 19 Gegenkundgebungen an einem Tag. Als „Legida“ im Januar das erste Mal mit knapp 5000 Teilnehmern losliefen, standen ihnen 30.000 Menschen in Leipzig gegenüber.

Leipzig ist das Anti-Dresden. Die Landeshauptstadt ist traditionell schwarz regiert, Leipzig seit der Wende von der SPD. Das „rote Leipzig“, sagen manche. Die Regierenden reden nicht mit den Vertretern von „Legida“. Bürgermeister Jung sagte, man werte Rassisten auf, wenn man sich auf Augenhöhe mit ihnen an einen Tisch setze.

Stojan Gugutschkow kann viel davon erzählen, warum Leipzig anders ist, weltoffener vielleicht. Er leitet seit 25 Jahren das Referat für Migration und Integration der Stadt. Früher als andere Städte sei man den Kampf gegen Rechtsextreme mit einer Fachstelle angegangen. Schon 2012 habe Leipzig ein Konzept für die Unterbringung von Flüchtlingen ausgearbeitet. Die Hälfte aller Asylsuchenden sei in Privatwohnungen untergebracht. „Aber der Druck steigt auch hier.“

Zu DDR-Zeiten habe es die „Messe-Muttis“ gegeben. Frauen, die Betten an Messegäste vermieteten, weil es nicht genügend Hotels gab. Und gerade feiert Leipzig 850-jähriges Jubiläum als Messestadt. „Leipzig hatte schon immer fremde Menschen in der Stadt, Pelzhändler aus Osteuropa zum Beispiel, oder Teppichhändler aus dem Orient“, sagt Gugutschkow. Das ist die DNA der Stadt, die sich gegen Rechte wehrt.

Irena Rudolph-Kokot steht vor dem Wagen von Ver.di. Gerade hat sie einen symbolischen Scheck über 2000 Euro an eine Frau vom Leipziger Flüchtlingsrat überreicht. Dann ruft sie den Demonstranten zu: „Wir wollen unseren Montag zurück.“

Die linke Szene hat ihre ostdeutsche Hochburg in Leipzig, knapp 200 von ihnen zählen die Sicherheitsbehörden zu gewaltbereiten Autonomen. Vor allem im Frühjahr gab es nach Angaben der Polizei bei „Legida“-Demos Ausschreitungen zwischen links und rechts. Als der bekannte Neonazi Christian Worch vor dem Völkerschlachtdenkmal immer wieder Demos anmeldete, blockierte ein linken Bündnis das Treffen. Immer wieder, bis Worch aufgab.

„Unser Konsens sind friedliche Widersetz-Aktionen“, sagt Rudolph-Kokot. Den Platz, auf dem an diesem Abend 600 Leute von „Legida“ stehen, hatten sie erst kürzlich in „Refugees Welcome Platz“ umbenannt. Nun schwingt dort ein Mann eine Fahne: „Islamisten not welcome“.

„Legida“, ist kleiner als „Pegida“ in Dresden. Während der Verfassungsschutz bei „Pegida“ keinen „relevanten Einfluss von Rechtsextremen“ feststellen kann, sieht er bei „Legida“ in Führung und Forderungen dafür Anhaltspunkte. Wer an diesem Montagabend dabei ist, trifft neben autonomen Nationalisten auch auf Menschen, die sich von Hetze distanzieren. Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen im eigenen Land, missachtet. Ein diffuser Protest gegen den Islam, mehr Ausländer, aber auch gegen GEZ-Gebühren und pro Putin.

Sie laufen eine Stunde durch Leipzig. An jeder Ecke tauchen hinter Polizeiketten Gegendemonstranten auf, rufen „Nazis raus“. Um kurz vor 21 Uhr singen sie noch die Nationalhymne. Dann ist Schluss. Irena Rudolph-Kokot steht wieder hinter den Absperrgittern. „Die Ärzte“ dröhnen aus den Boxen. „Eigentlich war es wie immer“, sagt sie. „Der ganz normale Wahnsinn.“​