Köln/Berlin.

Wenn am heutigen Sonnabend in Köln die größte Ernährungsmesse der Welt beginnt, die „Anuga“, werden die Messehallen am Rhein voll sein mit Lebensmitteln. Die Fachbesucher können dort Kürbis-Quinoa-Desserts probieren und Steinzeitbrot-Mischungen zum Selberbacken; sie werden an Drinks aus Algen nippen und koscheres Fleisch testen. Mehr als 7000 Aussteller aus mehr als 100 Ländern zeigen, was zu Hause und im Restaurant auf den Tisch kommen kann.

Am Ende, wenn die Messe am Mittwoch schließt, kommt die Müllabfuhr und holt einen großen Teil davon ab.

Nun ist eine Lebensmittelmesse sicher ein Sonderfall. Dennoch ist die üppige Präsentation der Produkte, die vor Ort niemand vollständig essen kann, für den Bundesernährungsminister ein Anlass zur Ermahnung: „Zu viele Lebensmittel landen Tag für Tag in der Mülltonne“, sagt Christian Schmidt (CSU) dem Hamburger Abendblatt. „Uns fehlt es gelegentlich an Wertschätzung dafür.“ Qualität und Sicherheit der Lebensmittel seien nie so hoch gewesen wie heute.

Der sorgfältige Umgang mit Essbarem aber lässt manchmal zu wünschen übrig. Vor allem bei jungen Menschen ist das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln offenbar nicht besonders ausgeprägt. Eine Umfrage, die das Ministerium in Auftrag gegeben hat und die dem Abendblatt vorliegt, zeigt: Mindestens jeder dritte Schüler (genau: 38 Prozent) sagt von sich, dass er „ungefähr einmal in der Woche“ Lebensmittel wegwirft. In der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen sagt dies sogar fast jeder Zweite (41 Prozent).

Die über 60-Jährigen dagegen gehen wesentlich schonender mit Nahrungsmitteln um: Nur gut jeder Zehnte (14 Prozent) wirft einmal in der Woche etwas weg, fast jeder Zweite in dieser Altersgruppe (44 Prozent) tut dies nach eigener Aussage sogar „nie“. Minister Schmidt fordert: „Ernährungs- und Verbraucherbildung muss stärker in die Stundenpläne integriert werden, am besten als eigenes Schulfach.“ Die Aufklärung, die das Ministerium inzwischen mit der Kampagne „Zu gut für die Tonne“ in den Schulklassen drei bis neun betreibt, reicht offenbar nicht aus.

Laut einer Studie der Universität Stuttgart wirft jeder Bundesbürger pro Jahr durchschnittlich 82 Kilogramm Lebensmittel weg – das ist umgerechnet so viel, wie in zwei vollgepackte Einkaufswagen passt. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) geht davon aus, dass weltweit rund ein Drittel der für den menschlichen Verbrauch produzierten Lebensmittel entweder verloren gehen oder weggeworfen werden. Dies entspricht einer Menge von 1,3 Milliarden Tonnen im Jahr. Die Gründe dafür sind vielfältig. Lebensmittelproduzenten werfen die Ware häufig weg, weil zu viel hergestellt wurde oder die Produkte nicht die gewünschte Qualität haben. Der Handel wiederum ordert oft mehr, als er verkaufen kann, damit die Regale immer voll sind. Lebensmittel, die bis zum Haltbarkeitsdatum nicht verkauft sind, wandern dann vielfach noch immer in die Müllcontainer.

Und die Kunden? Die kaufen gern frisch ein, verbrauchen dann aber oft nicht alles. Sie lagern die Einkäufe falsch oder verlieren schlicht den Überblick, wie viele Vorräte sie noch haben.

Die aktuelle Umfrage bestätigt diese Erkenntnis: Die meisten Bundesbürger werfen Lebensmittel weg, weil sie verdorben sind oder weil zu viel gekocht wurde und sie die Reste nicht verwerten konnten. Etwa jedem Zweiten geht das so. Gleichzeitig behaupten zwei von drei Befragten aber, dass sie „niemals“ zu viel einkaufen. Wenn etwas nicht schmeckt, ist das für drei von vier Bundesbürgern kein Grund, es nicht doch aufzuessen. Ein überschrittenes Haltbarkeitsdatum ist nur für ein Drittel ein Grund, Essbares wegzuwerfen.

Unter den Lebensmitteln, die in deutschen Küchen in den Mülleimer wandern, liegen Obst und Gemüse weit vorn. Jeder vierte Befragte wirft diese Waren weg. Trockenes Brot folgt auf Platz zwei. Fleisch, Fisch und Eier werden so schnell gegessen oder halten so lange, dass sie nicht schlecht werden – sie kommen fast nie in den Abfall.

Im Restaurant ist es hierzulande – anders als etwa in Amerika – noch immer unüblich, Essensreste mitzunehmen. Jeder Vierte behauptet, das jetzt schon zu tun. Andererseits sagt mehr als jeder Zweite, dass er dies vielleicht täte, wenn er extra darauf hingewiesen würde. Minister Schmidt möchte, dass dies zu einer Selbstverständlichkeit wird: „Wir müssen den Verbrauchern die Hürde nehmen, Reste eines Restaurantbesuchs nach Hause zu nehmen“, sagt er. Mit dem Hotel- und Gaststättenverband werde er eine Kampagne für eine „Beste-Reste-Box“ starten.

Auf der Ernährungsmesse Anuga übrigens können die Aussteller angeblich ganz gut abschätzen, wie viel die Fachbesucher essen werden. Vernichtet würden vor allem exotische Lebensmittel, die in Deutschland keine Zulassung hätten, sagt eine Sprecherin. Den essbaren Rest hole die Kölner Tafel ab und verteile ihn an Bedürftige. Beim letzten Mal seien das 70 Paletten gewesen.