Kundus/Washington/Hamburg. Ein Kriegsverbrechen? Die Luftwaffe bombardierte trotz vorhandener GPS-Koordinaten die Klinik von Ärzte ohne Grenzen. Grausame Szenen.

Der Schock sitzt tief bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Nun will sich die mit dem Friedensnobelpreis geehrte Organisation aus Kundus in Nordafghanistan zurückziehen. Die irrtümliche Bombardierung ihres Krankenhauses hat mindestens 19 Tote gefordert. Eine Sprecherin sagte am Sonntag, die Klinik sei nicht mehr funktionsfähig, Patienten seien an andere Einrichtungen weitergegeben worden. US-Präsident Barack Obama​ kündigte​ eine Untersuchung der ​amerikanischen Luftangriffe an und sprach den Opfern sein Beileid aus. Die Vereinten Nationen erklärten, die Bombardierung in der Nacht zum Sonnabend könnte ein Kriegsverbrechen da​rstellen.

„Ärzte ohne Grenzen“ erklärte, der Angriff auf das Krankenhaus sei eine schwere Verletzung internationalen Rechtes. Die Verluste könnten nicht als „Kollateralschaden“ abgetan werden. Es seien zwölf Mitarbeiter und mindestens sieben Patienten, darunter drei Kinder, getötet und 37 Menschen verletzt worden. Die GPS-Koordinaten des medizinischen Zentrums in Kundus seien „an alle beteiligten Konfliktparteien, Washington und Kabul eingeschlossen,“ weitergegeben worden. Dieses Vorgehen ist üblich, um zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser zu schützen.

Zudem soll das Krankenhauspersonal in Kundus militärische Stellen in Kabul und Washington noch während der Bombardierung telefonisch informiert haben. Dennoch sei das Hospital mehr als eine Stunde lang in Abständen von 15 Minuten bombardiert worden, erklärte Ärzte ohne Grenzen.

„Ärzte ohne Grenzen“ arbeitet seit 1980 in Afghanistan, die Klinik in Kundus betreibt die Organisation seit rund fünf Jahren.

​Mitarbeiter der Organisation beschrieben ​ in afghanischen Medien schreckliche Szenen, die sich in der Klinik abspielten. ​So seien Patienten auf der Intensivstation hilflos in ihren Betten verbrannt, während das US-Militär mehr als eine Stunde lang Luftangriffe auf die Klinik geflogen habe. Eine ungarischer Krankenpfleger berichtete, im Operationssaal habe ein Patient tot auf dem Operationstisch gelegen, während um ihn herum ​alles in Trümmern lag. ​Ein schwer verletzter Arzt sei auf seinem Schreibtisch notoperiert worden, habe aber nicht gerettet werden können.

Die aufständischen Taliban hatten vor einigen Tagen die Kontrolle über die strategisch wichtige Provinzstadt übernommen. Seither versucht die afghanische Armee, unterstützt durch die Nato und das amerikanische Militär, die Stadt zurückzugewinnen. Auch am Sonnabend wurde in den Straßen von Kundus gekämpft. Seit Ende September bombardieren US-Kampfflugzeuge Stellungen der Taliban in und um Ku​ndus.

Seit Beginn der Kämpfe zwischen den Taliban und der afghanischen​​ Armee am Montag hatte das Krankenhaus laut „Ärzte ohne Grenzen“ knapp 400 Verwundete behandelt. Zur Zeit des Luftangriffes hätten sich 105 Patienten und 80 Mitarbeiter der Hilfsorganisation im Hospital ​befunden.

Ärzte ohne Grenzen hat Vorwürfe zurückgewiesen, Taliban-Kämpfer hätten aus der Klinik heraus auf afghanische Soldaten und US-Truppen geschossen. „Die Tore des Geländes waren nachts alle verschlossen, sodass zum Zeitpunkt des Angriffs außer Mitarbeitern und Patienten niemand in der Klinik war“, erklärte die Organisation. Zudem sei jeder Patient, auch verwundete Taliban-Kämpfer, nach dem humanitären Völkerrecht ein nicht-kämpfender Zivilist.

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