Berlin.

Plagiatsjäger greifen gern zu einer martialischen Wortwahl, wenn wieder ein bekannter Politiker über Plagiatsvorwürfe zu stürzen droht. Von nichts weniger als einem „Schlachtfest“ spricht der Gründer der Plattform „VroniPlag“, wenn man ihn zu den Täuschungsvorwürfen gegen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) befragt. Martin Heidingsfelder fordert nun sogar den Rücktritt der Ministerin. Und spricht – aus seiner Sicht als Plagiatsjäger – von „wahren Festtagen“.

Andere hingegen meinen, man solle jetzt erst recht besonnen urteilen: „Jeder, der jetzt den Rücktritt von der Ministerin fordert, vergisst, was das Leben mit uns macht“, sagt Wolfgang Löwer, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn und Sprecher des Ombudsgremiums der Wissenschaft. Löwer verweist auf einen Vorschlag, eine Verjährungsfrist von 15 Jahren für Sanktionen bei Plagiaten einzuführen: „Eine solche Frist kann aber nur der Gesetzgeber einführen.“

Es sei zwar richtig, dass der Doktortitel zu Beginn der Karriere Vorteile bringe, aber dieser Vorteil schwinde mehr und mehr, je länger das Berufsleben andauere. Das sei jetzt zu bedenken. „Durch den Entzug des Doktortitels wird der soziale Geltungsanspruch einer Person zerstört“, sagt Löwer.

Auf der Internetseite „VroniPlag Wiki“ wird die 1990 vorgelegte Promotionsarbeit der Ministerin derzeit von überwiegend anonym arbeitenden Freiwilligen auf die Güte ihrer wissenschaftlichen Qualität untersucht. Von der Leyens Arbeit zur Frauenheilkunde enthalte „zahlreiche wörtliche und sinngemäße Textübernahmen, die nicht als solche kenntlich gemacht sind“, heißt es auf der Internetseite. Bisher sind auf 37 der insgesamt 62 Textseiten Plagiatsfundstellen dokumentiert. Laut Gerhard Dannemann, Mitarbeiter bei VroniPlag und Jurist an der Berliner Humboldt-Universität, handelt es sich unter den veröffentlichten Dokumentationen um einen „mittelschweren Fall, bei dem eindeutig der Titelentzug infrage kommt.“

Streit über Verjährungsfristen für wissenschaftliche Plagiate

VroniPlag hat bereits die Arbeiten zahlreicher Spitzenpolitiker geprüft. Einige mussten wegen zum Teil abgeschriebener Doktorarbeiten von ihrem Amt zurücktreten, darunter der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Ex-Bildungsministerin Annette Schavan (CDU).

Einer generellen Verjährungsfrist für Plagiatsfälle im akademischen Bereich, wie sie sein juristischer Kollege Wolfgang Löwer empfiehlt, widerspricht VroniPlag-Mitarbeiter Dannemann: „Es gibt eine Fülle von Plagiatsfällen an deutschen Universitäten. Solange diese nicht aufgearbeitet sind, würde ich keine Verjährungsfrist einführen wollen.“

Von der Leyens Arbeit wird derzeit von der „Kommission für gute wissenschaftliche Praxis“ der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) einer „förmlichen Prüfung“ unterzogen. Die Kommission besteht aus fünf Mitgliedern, vier Professoren aus den Hauptsektionen der MHH und einem Rechtsexperten – darunter Reinhold Förster, Hermann Müller-Wahl, Michael Gebel und der Jurist der Rechtsabteilung, Norbert Langhorst. Seit Sonntag liegt der Kommission ein Vorbericht einer Ombudsperson der MHH vor, der keine „abschließenden Wertungen zu geäußerten Vorwürfen“ enthalte, teilte die Hochschule mit. Ursula von der Leyen hatte die Hochschule schon im August um eine Prüfung ihrer Arbeit gebeten.

Parteifreunde von der Leyens stehen ihr bei: „Die Menschen interessiert, wie wir aktuelle Probleme lösen und Herausforderungen angehen. Im Moment steht anderes im Mittelpunkt als irgendwelche Plagiatsvorwürfe“, sagte der Vize-Vorsitzende der CDU, Thomas Strobl. Auch bei der SPD will man den Täuschungsvorwurf nicht bewerten. Es seien „schwerwiegende Behauptungen“, aber dem Ergebnis solle man nicht vorgreifen: „Ich kenne weder die Doktorarbeit noch bin ich unabhängiger Prüfer“, sagte SPD-Vize Ralf Stegner. Neben der Debatte um von der Leyens Doktorarbeit gibt es Kritik an den medizinischen Fakultäten. Von 152 Plagiatsfällen auf VroniPlag sind 85 medizinische Arbeiten. „Die Forschungsthemen von Betreuer und Betreutem sind bei Dissertationen in der Medizin nicht genug voneinander getrennt“, sagt Dannemann. Es passiere, dass Forschergruppen dasselbe Datenmaterial für verschiedene Doktorarbeiten nutzten. Die Plagiatsjäger kritisieren, dass viele Dissertationen ein geringes wissenschaftliches Niveau hätten. Ombudsmann Löwer: „Die medizinischen Fakultäten müssen Anforderungen und Verfahren der Promotion überdenken.“