Berlin. Bernie Sanders, demokratischer Bewerber für die US-Präsidentschaft, elektrisiert die Massen

In Amerika kann man auch noch mit 73 als politischer Rockstar gefeiert werden. Bernie Sanders ist so einer. In den USA herrscht Vorwahlkampf um die Präsidentschaft. Und Sanders, ein Senator aus dem Zwergstaat Vermont, will als Kandidat der Demokraten das Rennen machen.

Kürzlich redete er vor knapp 30.000 Leuten in Portland an der Westküste. Der Mann mit dem weißen Haar stand am Rednerpult und fuchtelte wild in der Luft herum. „Amerika hat verstanden, dass die Gier der Wall Street die große Mittelklasse dieses Landes zerstört“, sagte er. Und: „Wir haben eine Botschaft an die Milliardärsklasse. Ihr könnt nicht alles kriegen.“ Die Menge johlte und klatschte.

Der Sturmlauf gegen die Superreichen kommt bei vielen an. Sanders wettert gegen die wachsende Ungleichheit in den USA, gegen Milliardäre, die sich die Taschen vollmachen, und kriminelle Banken. Sein Rezept ist einfach: rauf mit dem Spitzensteuersatz, kostenlose Gesundheitsvorsorge, freie Bildung für alle.

Das ist Balsam für die Seele der Demokraten, die bei den Vorwahlen im nächsten Jahr ihren Präsidentschaftskandidaten nominieren. Die Partei, die sich als Stimme der arbeitenden Bevölkerung begreift, lechzt nach mehr sozialer Gerechtigkeit. So ist das Jahreseinkommen einer typischen Familie aus der amerikanischen Mittelschicht seit 1999 um beinahe 5000 Dollar gesunken.

Bernie Sanders gehört keiner Partei an, bezeichnet sich aber als „demokratischen Sozialisten“. In Deutschland würde er als linker Sozialdemokrat durchgehen. Von 1991 bis 2007 saß er bereits als Abgeordneter im Repräsentantenhaus.

Einen Hang zu glasklaren Positionen hat er seit seiner Studentenzeit. Anfang der 60er-Jahre engagierte er sich in der Bürgerrechtsbewegung. In Chicago studierte er Politische Wissenschaften. Die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg prägten ihn.

Es sind die ungeschminkte Sprache und der frontale Kurs gegen das Polit-Establishment, die Sanders für die Massen attraktiv machen. Vor ein paar Monaten kannte ihn kaum jemand im Land.

Mittlerweile hat er laut Umfragen bereits 26 Prozent der Demokraten auf seiner Seite. Der Vorsprung von Hillary Clinton, die einst als haushohe Favoritin gegolten hatte, schmolz von 64 Prozent im Mai auf nun 48 Prozent. Im Bundesstaat New Hampshire liegt Sanders bereits auf Platz eins. Er ist der Star, der aus dem Nichts kam.

Anders als seine Kollegen fährt er mit der U-Bahn durch Washington

Der Mann mit der Polterrhetorik ist für etliche an der Basis ein wohltuendes Kontrastprogramm. Spitzendemokraten wie Barack Obama oder Hillary Clinton gelten dagegen als weichgespülte Politprofis, deren Botschaft durch zu viele Kompromisse verwässert wurde.

Sanders, Sohn jüdisch-polnischer Einwanderer, sticht auch durch seine Bodenständigkeit hervor. Oft sieht man ihn mittags in einer einfachen Cafeteria im Gebäude des US-Kongresses – manchmal sitzt auch seine Frau Jane mit am Tisch. Anders als der Großteil seiner Kollegen fährt er immer wieder mit der U-Bahn durch Washington.

Mit seinem bescheidenen Auftritt und seinen kantigen Thesen mobilisiert Sanders die Basis der Demokraten. Für sie ist der ehemalige Kleinstadt-Bürgermeister einer, der Tacheles redet. Ein Gegensatz zur kühl wirkenden Hillary, der man eine Nähe zum Bankenadel und zur Großindustrie nachsagt.

Das hebt Sanders immer wieder hervor. 15 Millionen Euro seiner bisherigen Wahlkampfspenden stammten zu 99 Prozent aus Geldgaben von weniger als 250 Dollar. Hillary, die schon rund 70 Millionen Euro eingefahren habe, profitiere dagegen von riesigen Beträgen, stichelt er.

Sanders mag durch seine feurigen Attacken gegen die Topverdiener des Landes viele Demokraten von den Stühlen reißen. Ob ihn allerdings eine Mehrheit wählt, ist eine andere Frage.

Das Partei-Establishment versucht schon einmal, Sanders in die linksliberale Ecke zu drängen. „Ich mag Bernie. Scheinbar wollen manche Leute wirklich einen Gras rauchenden Sozialisten im Weißen Haus sehen“, scherzte Obama bei einem Pressedinner im April.