München/Budapest. Ausnahmezustand am Hauptbahnhof. 1500 Flüchtlinge kommen an einem Tag. Die Begrüßung ist überwältigend. Bayern bittet andere Länder um Hilfe

Es sind die einfachen Dinge, die dringend gebraucht werden. Windeln, Wasser ohne Kohlensäure und Sonnenhüte. Denn am Dienstag sind es in München zur Mittagszeit 31 Grad. Und am Hauptbahnhof herrscht Ausnahmezustand. Die Polizei hatte die Münchner am Morgen dazu aufgerufen, den vielen Flüchtlingen, die aus Ungarn ankommen, zu helfen. 1500 sind es allein an diesem Tag. Auf der Internetseite Twitter bittet die Polizei: „Jeder, der gerne helfen möchte, ist herzlich willkommen.“ Und die Münchner kommen. Bürogemeinschaften, die Geld spenden, Angestellte, die frei haben und einfach drei Einkaufswagen Lebensmittel vom Discounter vorbeifahren.

Kurz vor 15 Uhr twittert die Polizei wieder: „Wir sind überwältigt von den vielen Hilfsgütern der #Münchner für die #Flüchtlinge am Hbf. Bitten euch aktuell keine Sachen mehr zu bringen.“

An diesem Dienstag zeigen die Münchner dem Rest von Deutschland und Europa, wie man Flüchtlinge willkommen heißt. Die meisten kommen aus Syrien, Afghanistan, Pakistan und Albanien. Rund 60 Beamte sind am Münchner Hauptbahnhof im Einsatz, aber auch viele freiwillige Helfer. „So was hat es in München noch nicht gegeben“, sagt der 20-jährige Andreas Duchmann, auch er hilft. Er meint damit aber nicht nur die Flüchtlinge auf dem Bahnhofsvorplatz, die warten, dass es für sie weitergeht und dieses neue Leben beginnt, auf das sie in ihrer Heimat hofften, er meint auch die Münchner, die da sind. Doch das reicht allein nicht: Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) fordert wegen der steigenden Asylbewerberzahlen die Hilfe aller anderen Bundesländer: „Bayern kann das alleine nicht mehr schaffen.“

Der Grund für die vielen Flüchtlinge in München war ein Stopp der Polizeikontrollen am Budapester Ostbahnhof am Montag. Die Kontrollen sollen sonst verhindern, dass visumpflichtige Reisende ohne gültiges Visum für Österreich oder Deutschland an Bord der internationalen Züge gelangen.

Schon seit einigen Tagen aber campieren zwischen 2000 und 3000 Flüchtlinge am und in der Nähe des Budapester Ostbahnhofs. Am Dienstag sind es wieder Tausende, die immer wieder „Germany, Germany“ oder „Merkel, Merkel“ skandieren. Denn die ungarischen Sicherheitskräfte haben den Bahnhof wieder gesperrt und lassen nur europäische Reisende hinein.

In der „Transitzone“ neben dem Ostbahnhof warten nach Angaben von Helfern und Aktivisten 1500 bis 2000 Flüchtlinge auf die Weiterreise nach Deutschland. Es kommt zu kleineren Tumulten. Die Stimmung ist unruhig.

Und auch in Salzburg warten am Dienstag 800 Flüchtlinge auf die Weiterfahrt nach Deutschland, in Wien sind es 500. Dramatisch ist die Lage auch in Griechenland: Nach vorläufigen Daten der EU-Grenzschutzagentur Frontex trafen dort allein vergangene Woche mehr als 23.000 Bootsflüchtlinge ein. Auf der Ostägäisinsel Lesbos harren laut der Küstenwache mehr als 15.000 Flüchtlinge aus. An der ungarisch-serbischen Grenze wiederum kamen laut Frontex in der vergangenen Woche 9400 Flüchtlinge an.

Zur gleichen Zeit antwortet Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) auf die Frage, ob denn Gefahr bestehe, dass die Grenzen wieder dicht gemacht werden: „Gerade die Osteuropäer profitieren besonders von offenen Grenzen. Wer aber Europa für eine Zugewinngemeinschaft hält, in der man mitmacht, wenn man Geld bekommt, und nicht mitmacht, wenn es schwierig wird, der gefährdet Europa.“ Offene Grenzen können nur erhalten werden, wenn Europa zu einer anderen Flüchtlingspolitik finde. Und auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) fordert die EU-Kommission zum Handeln auf: Europa brauche eine gemeinsame Asylpolitik – mit Registrierungszentren für Flüchtlinge in Griechenland und Italien, einer einheitlichen Einstufung sicherer Herkunftsländer und fairen Verteilung von Asylbewerbern auf alle 28 Mitgliedsstaaten. Nach der Dublin-Verordnung ist der Mitgliedsstaat für das Verfahren eines Asylbewerbers zuständig, in dem dieser erstmals EU-Boden betreten hat.