Berlin. IS-Milizen sprengen einen der kostbarsten antiken Tempel. Archäologe fordert Militäreinsatz zur Rettung der Denkmäler

Angesichts der anhaltenden Zerstörung von antiken Stätten durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hat der in Wien lehrende Archäologe Andreas Schmidt-Colinet ein schärferes militärisches Vorgehen gegen die Dschihadisten gefordert. „Der Islamische Staat will unsere Kultur zerstören. Die Weltgemeinschaft muss dem militärisch entschiedener entgegentreten“, sagte Schmidt-Colinet unserer Zeitung. Es werde in der Politik zu viel geredet und zu wenig gehandelt.

Schmidt-Colinet hat 30 Jahre lang zu den Ruinen in der zentralsyrischen Wüstenstadt Palmyra geforscht und eine Vielzahl von Ausgrabungsprojekten geleitet.

Nach Angaben von Nachrichtenagenturen hat der IS am Sonntag eines der wichtigsten antiken Bauwerke des Nahen Ostens schwer beschädigt. Im Bel-Tempel in Palmyra habe es eine große Explosion gegeben, erklärte der Chef des Ministeriums für Altertümer und Museen in Damaskus, Maamun Abdulkarim. Der zentrale Bau des Tempels sei jedoch noch da, betonte er unter Hinweis auf Augenzeugen.

Die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die sich in Syrien auf ein Aktivistennetzwerk stützt, meldete hingegen die Sprengung des Tempels. „Das ist totale Zerstörung“, sagte ein Anwohner von Palmyra über die Detonation. Genauere Angaben über die Schäden waren aber von keiner Seite zu bekommen.

Der Bel-Tempel ist rund 2000 Jahre alt. Er bildet den größten Komplex in der Anlage, die seit 1980 zum Weltkulturerbe der Unesco gehört.

„Palmyra ist die ausgedehnteste kaiserzeitlich-römische Antikenlandschaft des Vorderen Orients“, unterstrich der Archäologe Andreas Schmidt-Colinet.

Vor Beginn des Bürgerkrieges 2011 besuchten jährlich mehr als 150.000 Touristen die Ruinen von Palmyra. Als besondere Schmuckstücke galten die langen Säulenstraßen, Portale, Tempel und weitläufigen Nekropole mit ihren mehr als 500 Grabmälern.

Wichtige Kunstwerke waren zwar schon vor der Eroberung der Stadt durch die IS-Milizen aus dem örtlichen Museum in Palmyra in Sicherheit gebracht worden. Doch die Extremisten plünderten mehrere der reich verzierten Mausoleen.

Der Name Palmyra bedeutet Stadt der Palmen und wurde erstmals im 19. Jahrhundert vor Christus erwähnt. Damals war die Stadt eine Station für Karawanen. Ihr eigentlicher Aufstieg begann nach der Eroberung durch die Römer im ersten Jahrhundert vor Christus.

Dank des Handels mit Gewürzen, Seide und Duftstoffen aus dem Osten sowie Statuen und Glaswaren aus Phönizien entwickelte sie sich zu einer luxuriösen Metropole.

Die Dschihadisten sehen in den Relikten Symbole, die Götzendienst und Abfall vom Glauben begünstigen. Vor diesem Hintergrund betreiben sie einen beispiellosen Zerstörungsfeldzug gegen antike Stätten.

Das Zeitalter der Kultur beginnt für sie mit der Verbreitung des Islam durch den Propheten Mohammed im siebten Jahrhundert. Der Bel-Tempel dürfte daher nicht das letzte Opfer der Islamisten gewesen sein. Die Sprengung von Tempeln und anderen Altertümern sei noch nicht abgeschlossen, zitierte die syrische Oppositionsseite „Masar Press“ einen Anhänger der Ex­tremisten.

Erst vor einer Woche war bekannt geworden, dass der IS in Palmyra den rund 2000 Jahre alten Tempel Baalschamin gesprengt hatte. Auch das Pilgerkloster St. Elian – auf halbem Weg zwischen Palmyra und Damaskus gelegen – wurde demoliert. Zuvor hatten die Terrormilizen die assyrischen Königstädte Ninive, Hatra und Nimrud dem Erdboden gleichgemacht. Das Museum von Mossul wurde total verwüstet. Kürzlich enthaupteten IS-Angehörige öffentlich den 82-jährien, langjährigen Chefarchäologen von Palmyra.