Berlin. Die Politik sucht nach Antworten auf die Herausforderungen der Flüchtlingsdebatte. Unionsspitze will am Abend neuen Kurs beraten.

Die Bundesregierung will den Zuzug von Wirtschaftsflüchtlingen so schnell wie möglich begrenzen. „Damit wir denen, die in Not sind, helfen können, müssen wir auch denen, die nicht in Not sind, sagen, dass sie bei uns nicht bleiben können“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bekräftigte, Deutschland könne den derzeitigen Andrang von Flüchtlingen auf längere Sicht nicht verkraften: „800.000 auf Dauer sind zu viel.“

Die Unionsspitzen wollten am Sonntagabend mit Merkel im Kanzleramt zusammenkommen, um ihren weiteren Kurs abzustecken. Dabei sollte es vor allem um die Lage der Flüchtlinge gehen. Die Ministerpräsidenten von Hessen und Brandenburg, Volker Bouffier (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), schlossen nicht aus, dass in diesem Jahr sogar bis zu eine Million Menschen nach Deutschland kommen. Die Bundesregierung hatte ihre Jahresprognose zuletzt auf 800.000 erhöht.

Deutschland, Frankreich und Großbritannien beantragten ein Sondertreffen der EU-Innen- und Justizminister binnen zwei Wochen. Sie dringen auf die einheitliche Festlegung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten und den Aufbau von Registrierungszentren für Flüchtlinge in Südeuropa bis spätestens Ende des Jahres.

Eine Woche nach den rechtsextremen Krawallen im sächsischen Heidenau demonstrierten Tausende Menschen in mehreren deutschen Städten für Solidarität mit Flüchtlingen. Allein in Dresden folgten am Samstag rund 5000 Bürger dem Aufruf eines linken Bündnisses und protestierten auch gegen die Flüchtlingspolitik der Landesregierung. In anderen Städten stellten sich Bürger Aufmärschen rechter Gruppen entgegen. Angesichts der Zunahme fremdenfeindlicher Gewalt warnten die Ost-Ministerpräsidenten davor, ihre Länder an den Pranger zu stellen.

Man sollte sich davor hüten, „hier vorschnell von einem ostdeutschen Phänomen zu sprechen“, sagte Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) der „Welt am Sonntag“. Sein Thüringer Kollege Bodo Ramelow (Linke) wies darauf hin, dass zurzeit bundesweit Nacht für Nacht Flüchtlingsunterkünfte in Flammen aufgingen. „Die Hotspots der braunen Gewalt liegen in allen Himmelsrichtungen verteilt.“ Der Sachse Stanislaw Tillich (CDU) verlangte bundesweite Anstrengungen gegen rechte Gewalt. Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff (CDU) sagte dem „Tagesspiegel“: „Die große Mehrheit der Ostdeutschen ist weltoffen und solidarisch.“

Altkanzler Gerhard Schröder forderte eine „Agenda 2020“ für eine moderne Zuwanderungspolitik. In Deutschland werde die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter stark schrumpfen, schrieb der SPD-Politiker in der „Welt am Sonntag“. „Wenn wir auch in Zukunft ein sozial und wirtschaftlich starkes Land sein wollen, dann brauchen wir Zuwanderung.“

Das umstrittene Versammlungsverbot für Heidenau bei Dresden wurde am Sonnabend vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Das zuständige Landratsamt hatte das Verbot für das gesamte Wochenende mit einem polizeilichen Notstand begründet; aus Sicht der Karlsruher Richter war ein solcher nicht erkennbar. Nach Aufhebung des Verbots kamen am Samstagabend rund 400 Menschen zu einer spontanen Solidaritätskundgebung zusammen. Mit Flüchtlingen tanzten und feierten sie auf der Straße. Die Polizei war mit starken Kräften im Einsatz, Zwischenfälle gab es nicht.

Gegen die drei mutmaßlichen Brandstifter im niedersächsischen Salzhemmendorf erging Haftbefehl. Ihnen wird laut Staatsanwaltschaft gemeinschaftlicher versuchter Mord und schwere Brandstiftung vorgeworfen. Die beiden Männer im Alter von 24 und 30 Jahren sowie eine 23-jährige Frau stehen im Verdacht, in der Nacht zum Freitag eine Brandflasche durch die Fensterscheibe einer Flüchtlingsunterkunft geschleudert zu haben. Eine Frau aus Simbabwe und ihre drei Kinder, die im Nebenraum schliefen, blieben unverletzt.