Berlin. Die Hilfe für Flüchtlinge könnte zu einer Verfassungsänderung führen. Es geht um viel Geld

Es ist ein zähes Geschäft. Patrick Sensburg hat zunehmend weniger Verständnis dafür. Der CDU-Abgeordnete erwartet, dass der Bund aktuell in der Flüchtlingskrise den Kommunen schnell und direkt hilft. „Es kann nicht sein, dass wir bei der Bankenrettung in wenigen Wochen Bundestagsbeschlüsse mit großer Mehrheit in Sondersitzungen schaffen, aber beim Thema Flüchtlinge es monatelang keinen Konsens gibt“, sagte er dem Hamburger Abendblatt. So wie der Rechtspolitiker denken nicht wenige in Parlament und Regierung. Und sie überlegen sogar, „das ganz große Rad der Verfassungsänderung“ zu drehen, wie der Grüne Volker Beck spöttelt. Eine Verfassungsänderung!

Bisher darf der Bund die Kommunen nur über den Umweg der Länder unterstützen. Wer das korrigieren will, muss das Grundgesetz ändern – seit Jahren undenkbar, im Zuge der Flüchtlingskrise aber nicht mehr.

Auf Anfrage unserer Zeitung bestätigte das Finanzministerium, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erörtere eine Verfassungskorrektur, um künftig „direkte Bundeshilfen an Kommunen in Flüchtlingsfragen zu ermöglichen.“

Die Diskussion lenkt den Fokus auf die Verteilungskämpfe zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Strittig ist schon die Höhe der Kosten. Die Schätzungen gehen auf bis zu zehn Milliarden Euro. Mit sechs Milliarden kalkuliert die Bundesregierung in einem internen Papier des Kanzleramts. Wenn sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Ende des Monats mit den Ministerpräsidenten trifft, will sie mehr Geld zusagen. Aber nur, wenn sichergestellt ist, dass es auch bei den Kommunen ankommt. Dass die Länderchefs es ihr versprechen werden, steht außer Frage.

Und doch ist das Misstrauen groß. „Häufig kommen die Bundesmittel für die Kommunen nur teilweise oder zu spät vor Ort an“, beklagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Sein Kollege vom Städtetag, Stephan Articus, ergänzt, es müssten Wege gefunden werden, damit das Geld „nicht an klebrigen Fingern der Länder hängen bleiben kann.“ Selbstredend sind die Städte und Kommunen für eine Änderung des Grundgesetzes. Landsberg: „Wir brauchen Planungssicherheit auch für die nächsten Jahre.“ Im Finanzministerium werden derzeit Modelle durchgespielt, wie der Bund sich dauerhaft, dynamisch und strukturell beteiligt „und wie das Ganze umgesetzt werden kann“. Die Stadtstaaten sind ein Sonderfall, da verschmelzen zwei Ebenen miteinander. Die Praxis in den Flächenländern ist so unterschiedlich wie umstritten. Beispiel Nummer eins: Die Sofort- und Nothilfe des Bundes von einer Milliarde Euro, jeweils in zwei Tranchen. Bayern leitete das Geld an die Kommunen weiter, NRW nur zur Hälfte, nur 54 von 108 Millionen Euro. Das Land rechtfertigte sich damit, dass die Bundesmittel zur Hälfte nur eine Kreditzusage seien. Nach Protesten verpflichtete sich die Düsseldorfer Regierung, zumindest die zweite Tranche nun voll auszuzahlen. Sie war für 2016 geplant, wird aber vorgezogen.

Beispiel Nummer zwei: Die direkte Erstattung der Kosten, die bei den Kommunen anfallen. Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen erstatten mindestens 90 Prozent der Ausgaben. Sachsen, Brandenburg, Baden-Württemberg decken sie immerhin zu mehr drei Viertel. Hessen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz begleichen 60 bis 70 Prozent. Schlusslicht war NRW, das eine Fallpauschale von 7.500 Euro zahlt. NRW begleicht nach eigenen Angaben jetzt immerhin 75 Prozent der tatsächlichen Kosten.

Die Hürde für eine Änderung desGrundgesetzes ist allerdings hoch

Häufig genug streiten beide Seiten darüber, was man überhaupt als Kosten heranziehen darf. Nur die Unterbringung, Verpflegung und Versorgung oder auch die Sprach- und Integrationskurse sowie die zusätzlichen Aufwendungen für die Schulen? Modellhaft versuchen beide Seiten gerade, wieder einmal die Kosten zu ermitteln und eine Verständigung zu erzielen. Der Flickenteppich von Regelungen, das politische Hickhack sind der Grund, warum Christdemokrat Sensburg drängt, „wir sollten sehr schnell zu einer Grundgesetzänderung kommen“. Ihm gehe es nicht um ein „generelles Einfallstor“. Der Bund sollte in der Lage sein, auf besondere Herausforderungen wie bei der Flüchtlingshilfe „schnell, unmittelbar, unbürokratisch vor Ort zu helfen“. Der Anreiz für die Länder wäre, dass der Bund fortan keine grundsätzliche Ausrede mehr hätte, ihnen Hilfen vorzuenthalten. Das reicht weit über die aktuelle Notlage hinaus. Heute sind es die Flüchtlinge, morgen schon die nächste Flut(hilfe).

Für die Änderung des Grundgesetzes wäre allerdings eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig. Gegen die Grünen läuft nichts. „Ich bin zwar gegen Denkverbote, wenn es um Hilfen für die Kommunen geht“, beteuerte der Grünen-Rechtspolitiker Volker Beck. „Aber warum das ganz große Rad der Verfassungsänderung drehen, wenn es eine einfache und kleine Gesetzesänderung auch tut.“ Sein Vorschlag: „Wenn der Bund den Kommunen helfen will, kann und sollte er die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes am besten ganz oder zumindest teilweise übernehmen.“