Breitenau. Auf der Balkanroute ins „gelobte Land“: Tausende Flüchtlinge lassen sich von kriminellen Organisationen schleusen. Wer nach vielen Strapazen gelandet ist, wirkt erleichtert

Der Funkspruch kommt gegen 1.30 Uhr. An einer Tankstelle im sächsischen Pirna sind urplötzlich Menschen aufgetaucht, suchen vor einem Gewitterregen Schutz. Der Nachtdienst der Tankstelle hat das gemeldet. Den Bundespolizisten Patrick Thomas und Torsten Bastian ist sofort klar: Das können nur Flüchtlinge sein. Dass sie im Stadtgebiet von Pirna ausgesetzt worden sind, passt zu einem Muster. Schleuser wollen in der Regel nur kurz die Autobahn A 17 (Prag–Dresden) verlassen. Sie fahren auf dem Autobahnzubringer nach Pirna und setzen ihre Passagiere auf der Straße ab, manchmal sogar auf der Autobahn.

Bastian und Thomas verlassen ihren Beobachtungspunkt an der A 17, die zur sogenannten Balkanroute gehört. Im Regen geht es in Windeseile nach Pirna. Als die beiden Polizeihauptmeister an der Tankstelle eintreffen, sind Kollegen schon vor Ort. Drei Familien aus Syrien drängen sich eng aneinander, acht Kinder haben sie dabei. Ein Mädchen hustet permanent. Alle wirken ausgehungert und erschöpft, aber auch glücklich. Ein junger Vater spricht etwas Englisch. Zwei der Familien seien aus Aleppo, eine aus der syrischen Stadt Kobane. Mehr ist nicht über ihr Schicksal zu erfahren.

Eine Beamtin kann den Blick von der Gruppe kaum abwenden: „Als Mutter bewegt mich das schon. Man hat sich aber auch daran gewöhnt.“ Dass die Betroffenen illegal nach Deutschland gekommen sind und damit deutsche Gesetze verletzt haben, ist jetzt zweitrangig. Erstmal geht es darum, sie in die Dienststelle der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel zu bringen. Dort können sie etwas essen, duschen und auch in einem Feldbett schlafen. Wenn später alle Personalien aufgenommen sind, kommen sie zur zentralen Erstaufnahme nach Chemnitz.

Auf der Rückfahrt zur A 17 ärgert sich die Streife, dass sie den Schleuser nicht erwischt hat. „Die werfen die Leute einfach raus und überlassen sie ihrem Schicksal“, sagt Thomas. Er weiß von Menschen, die ihr letztes Geld für die Flucht hergaben und sich sogar verschuldeten. Klar, auch die Schleuser seien letztlich nur „kleine Lichter“. Man brauche aber ihre Aussagen, um an die Organisationen heranzukommen, die mit dem Elend von Menschen viel Geld verdienen.

Immer häufiger registriert die Bundespolizei „Großschleusungen“, bei denen 30 Leute und mehr nach Deutschland gebracht werden. Oft geschieht das unter Bedingungen, die an Sklaventransporte vergangener Jahrhunderte erinnern. Da werden wie kürzlich 81 Menschen auf eine Ladefläche gepfercht, gefahren wird manchmal zwei Tage lang ohne Unterbrechung. Pausen für Toilette oder Essen sind nicht vorgesehen. „Dass so viele über Großschleusungen kommen, gab es vor zwei Jahren noch nicht“, berichtet Thomas.

In den meisten Fällen werden Asylsuchende heute in Kleintransportern gebracht. Darauf richtet sich vor allem der Blick, wenn Thomas und Bastian mit ihrem Streifenwagen kurz hinter der tschechisch-deutschen Grenze in einer Zufahrt zur Autobahn stehen und in Sekundenschnelle entscheiden müssen, ob sie dem Fahrzeug folgen oder nicht. Ein Transporter, der mit abgedunkelten Scheiben fährt, ist schon mal verdächtig. Wenn Kennzeichen früherer Ostblockstaaten hinzukommen, ist man besonders wachsam. Aber auch Schweden sind als Schleuser schon aufgefallen. Dann soll es direkt nach Skandinavien gehen. Von „Edelschleusungen“ spricht man hier dann, wenn gut gekleidete Flüchtlinge in ganz normalen Autos kommen.

Die Bundespolizeidirektion Pirna hat 2015 schon mehr als 3000 illegale Migranten registriert und mehr als 200 Schleuser festgenommen. Damit sei bereits jetzt annähernd das Niveau des gesamten Vorjahres erreicht, sagt Sprecher Bernd Förster. Für eine Schleusung müsse ein Flüchtling in der Regel gut 500 Euro je Grenze zahlen. Auf diese Weise kämen mehrere Tausend Euro zusammen. „Je mehr Geld sie haben, desto schneller kommen sie voran“, sagt Bastian. Schleuser finden sich angesichts der Gewinnspanne immer. Laut Ehrlich bekommen sie im Schnitt 2000 Euro pro Fahrt: „Das ist viel Geld in Osteuropa.“