Celle/Wolfsburg. In Celle stehen zwei Deutschtunesier vor Gericht. Wieweit waren die beiden jungen Männer in die Gräuel in Syrien und im Irak verwickelt?

Der Zuschauerraum ist mit Panzerglas vom Gerichtssaal abgetrennt, auch die beiden Angeklagten sitzen hinter Glaswänden: Seit gestern macht der Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht Celle erstmals zwei IS-Kämpfern aus Niedersachsen den Prozess wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Bereits am ersten Tag hat der 27-jährige Deutschtunesier Ayoub B. über seinen Verteidiger den Kern der Anklage bestätigt. Und der 26-jährige Ebrahim H. B., ebenfalls Deutschtunesier, hat im Vorfeld in einem NDR-Interview ausführlich über die Zeit als Kämpfer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in Syrien berichtet.

Das Gericht hat bis in den Spätherbst hinein mehr als 30 Verhandlungstage angesetzt, gut 20 Zeugen sind geladen. Der Prozess bietet angesichts der reumütigen Angeklagten den Sicherheitsbehörden die Chance, mehr darüber zu erfahren, wie ausgerechnet die boomende Industriestadt Wolfsburg zu einem Zentrum militanter Salafisten werden konnte. Mehr als 20 junge Menschen sollen sich von hier aus bereits auf den Weg gemacht haben in die syrischen und irakischen Kampfgebiete, die Behörden gehen davon aus, dass mindestens sieben dort ums Leben gekommen sind.

Ist Ayoub B. tatsächlich, wie er es jetzt darstellen ließ, nur in den Nahen Osten gereist für ein Islam-Studium? Ist er dann dort zur Waffenausbildung gezwungen worden? Diese Schießausbildung nämlich ist ein eigener Straftatbestand, gilt als Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Der Angeklagte beteuert: „Es war keine Rede vom Kämpfen.“

Laut eigener Einschätzung war der Angeklagte das schwarze Schaf der Familie, er hat die Schule nur mühsam geschafft, hatte Drogenprobleme, dann hat es nur gereicht zum Zeitarbeiter bei VW. An den Montagsbändern sei er dann auch durch andere muslimische Kollegen in radikale Kreise geraten. Er sei, lässt er sagen, „an falsche Freunde“ geraten. Und dann ist er, nach den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, von Juni bis August 2014 nach Nahost gereist. Die Bundesanwaltschaft glaubt ihm die Version vom erzwungenen Kampftraining nicht. Beide Angeklagte seien aus den Kampfgebieten zurückgekommen, „ohne ihre ideologische Übereinstimmung mit dem IS aufgegeben zu haben“.

Es kann sein, dass auch Behörden wie das Landeskriminalamt noch in Erklärungsnöte geraten in diesem Prozess. Wie in mehreren anderen Fällen haben sich nämlich auch die Eltern von Ayoub B. vor der Ausreise ihres Sohnes hilfesuchend an die Polizei gewandt. Der Vater war damals im Vorstand der tunesischen Moschee. Andererseits: Beide Angeklagte hatten zwei Staatsbürgerschaften, also auch zwei Pässe.

Beide Angeklagte wirken nicht verschüchtert, aber sie kennen den Strafrahmen von bis zu zehn Jahren für die Mitgliedschaft in der Terrorgruppe und im Falle von Ayoub B. auch der Beteiligung an Kämpfen. Bei Ebrahim H.B. geht die Anklage davon aus, dass er bereit war, sich in Bagdad als Selbstmordattentäter in die Luft zu sprengen. Nur weil einige weitere Beteiligte zuvor verhaftet wurden, ist nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft der Anschlag unterblieben. Er hat in dem NDR-Interview auch von seiner Radikalisierung etwa durch einen durchreisenden „falschen Prediger“ in einer Wolfsburger Moschee in Bahnhofsnähe berichtet. Diese Gefahr sieht inzwischen auch die Masse der gemäßigten Muslime. „Staat und Gesellschaft müssen klarmachen, dass wir uns gegen radikale Prediger stellen und gegen jede Form von Extremismus“, sagte mit Blick auf den Prozessauftakt Avni Altiner, Vorsitzender des Landesverbandes der Muslime in Niedersachsen.

Ob die beiden Angeklagten den IS außerdem mit Geld unterstützten, ob sie tatsächlich erfolgreich weitere Mitglieder für den Terrorkrieg rekrutierten, die Bundesanwaltschaft will auch dies beweisen. Der US-Geheimdienst CIA schätzt, dass der IS allein rund 20.000 Kämpfer aus dem Ausland hat rekrutieren können. Der IS gilt inzwischen als die finanzkräftigste Terrorgruppe, die Einnahmen stammen aus dem Ölhandel, aus Steuern, Spenden, Schutzgeldern, Zöllen und Lösegeldern. Auch die Nachwuchswerbung über das Internet ist professionell gestaltet.