Celle/Wolfsburg. Heute beginnt der Prozess gegen zwei mutmaßliche Anhänger der Terrororganisation „Islamischer Staat“. Das Gericht beschäftigt sich auch mit den Motiven der beiden jungen Männer aus Niedersachsen

Wolfsburg gilt als Hochburg militanter Islamisten. Erst vor Wochenfrist ist erneut ein 30-Jähriger, der für den „Islamischen Staat“ (IS) in den Kampf gezogen war, im Irak bei Gefechten umgekommen. Ab diesem Montag versucht das Oberlandesgericht in Celle, den Motiven vieler junger Männer auf den Grund zu gehen, die zur Waffe gegriffen haben. Vor dem Staatsschutzsenat beginnt die Hauptverhandlung gegen zwei junge Deutschtunesier.

Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass sich sowohl der 27-jährige Ayoub B. als auch der 26-jährige Ebrahim H.B. nach der Ankunft in Nahost im Mai 2014 und der Ausbildung an Waffen in einem Camp an Kämpfen beteiligt haben. Es ist dies das erste derartige Verfahren in Niedersachsen, aber allein in den vergangenen sechs Wochen hat die Bundesanwaltschaft Anklage erhoben gegen mindestens sechs weitere vermutete IS-Kämpfer.

Das Besondere an dem Verfahren vor dem OLG Celle: Ebrahim H.B. hat in einem Fernsehinterview des NDR bereits im Vorwege ein umfassendes Geständnis abgelegt. Und er gibt sich geläutert: „Gefängnis in Deutschland ist mir viel lieber als Freiheit in Syrien. Dann können Sie sich schon vorstellen, wie schrecklich das war.“ Er berichtete, ihm sei die Leiche eines potenziellen Verräters der Terrormiliz „Islamischer Staat“ mit abgehacktem Kopf gezeigt worden, um ihn davor zu warnen, abtrünnig zu werden. „Wenn du dahin gehst, bist du entweder tot oder tot“, sagte er. Der 26-jährige Massagetherapeut soll laut Anklage der Bundesanwaltschaft bereit gewesen sein, für den IS als Selbstmordattentäter zu sterben. Ein geplanter Anschlag in Bagdad sei nur deshalb nicht umgesetzt worden, weil Gruppenmitglieder vorher festgenommen wurden. Beide hätten je 5000 Euro Bargeld mitgebracht und abgegeben, genau wie ihre Mobiltelefone.

Die beiden jungen Männer reisten über die Türkei nach Syrien. In Kontakt mit der Terrororganisation sollen sie über eine in Bahnhofsnähe in Wolfsburg gelegene Moschee gekommen sein. Beide Männer flohen nach eigenen Angaben nach etwa vier Monaten wieder zurück nach Deutschland, wo sie im November 2014 festgenommen wurden, und sitzen hier seither in Untersuchungshaft. Ebrahim H.B. schilderte im NDR ausführlich, wie ihm in einem Auffanglager für ausländische Kämpfer als Erstes Handy, Pass und persönliche Dinge abgenommen wurden. Er und andere junge Leute aus Wolfsburg seien unter anderem mit dem Versprechen, viele Frauen und teure Autos haben zu können, nach Syrien gelockt worden. Ebrahim B. soll zu einer Gruppe von mindestens 20 jungen Männern aus Wolfsburg gehören, die sich seit 2013 dem IS anschlossen. Die Behörden gehen davon aus, dass mindestens sieben der Männer in Nahost umgekommen sind. Zu seinen Motiven, über den IS auszupacken, sagt Ebrahim H.B.: „Ich habe das Bedürfnis, vieles zu erklären.“ Nur wenige Rückkehrer reden. „Wer gibt schon gerne zu, dass er verarscht worden ist.“

Wichtig aus der Sicht des Verfassungsschutzes: Der Staatsschutzsenat des OLG Celle wird sich entsprechend der Anklage der Bundesanwaltschaft auch mit dem Vorwurf beschäftigen, ob und wie die beiden Angeklagten während des Aufenthalts in Syrien versucht haben, in Chatkommunikationen neue Mitglieder für die Vereinigung und den bewaffneten Kampf in Nahost zu gewinnen. Nach Überzeugung der Anklage ist dies dem Angeklagten Ayoub B. in einem konkreten Fall sogar gelungen. Für die Sicherheitsbehörden sind Erkenntnisse über solche Abläufe wichtig, um die eigenen Aussteigerprogramme für Islamisten und neue Wege der Prävention genauer justieren zu können.

Wie wichtig die Justiz solche Verfahren nimmt, kann man an einem anderen Detail erkennen. Im Mai hat der Generalbundesanwalt Anklage erhoben, umgehend wurde diese Anklage vom OLG Celle zur Verhandlung zugelassen, heute beginnt die Hauptverhandlung. Der 4. Strafsenat des OLG hat Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen beschlossen. Vorerst sind 33 Termine für die Hauptverhandlung festgelegt. Was noch auffällt: Besonders viele der bundesweit einsitzenden Verdächtigen haben gleich zwei Staatsbürgerschaften, viele Verdächtige kommen – familiär betrachtet – aus Tunesien.