Berlin. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig bringt die Partei gegen sich auf, weil er ihr den Machtwechsel nicht mehr zutraut

Miguel Sanches

Johannes Kahrs meldet sich per SMS. „Moin, fröhlicher Gruß aus dem Urlaub. Wer ist dieser Albig?“, schreibt der Chef des wirtschaftsnahen Seeheimer Kreises. Humorloser fällt der Kommentar von SPD-Vizefraktionschef Hubertus Heil aus: „Quatsch.“ Ein anderer Sozi will anonym bleiben: „Ein Quartalsirrer.“ Torsten Albig, Ministerpräsident in Kiel, hat seine Parteifreunde in Wallung gebracht. In einem Interview mit dem NDR hat er der SPD nahegelegt, bei der Bundestagswahl gleich die Juniorpartnerschaft anzustreben. „Ob die Bezeichnung Kanzlerkandidat noch richtig ist oder nicht, das werden wir noch sehen.“ Autsch.

Die SPD liegt seit Langem in den Umfragen bei etwa 25 Prozent, während sich die Union oberhalb der 40 Prozent eingerichtet hat. Im Grunde hat Albig das ausgesprochen, was manche in der SPD hinter vorgehaltener Hand sagen: Merkel ist so souverän und populär, da hat die SPD keine Chance. Parteichef Sigmar Gabriel steht seit Wochen in der Kritik, auch in den eigenen Reihen. Manche beschreiben ihn als „Zickzack-Siggi“. Vor allem beim Thema Griechenland nahm er zuletzt jeden Tag eine andere Position ein, was die Partei verstört und auch verärgert.

Doch Albigs Äußerung verunsichert die Sozialdemokraten noch zusätzlich. „Auf Dauer ist es für eine Volkspartei natürlich unbefriedigend, 15 Punkte hinter dem Wettbewerber zu liegen“, sagte Albig. „Ich kann auch nicht beurteilen, wie viel davon Frau Merkel als Person ausmacht. Sie macht das ganz ausgezeichnet“, fuhr er fort, „es macht auch keinen Sinn, sich jeden Tag ein Beißholz zu nehmen, und da weinend reinzubeißen“. Sein Rat: Findet euch mit Merkels Stärke ab, macht das Beste daraus. Mithin sei es „eine absolut legitime Wahlaussage“, so Albig, für eine Regierungsbeteiligung zu kämpfen – und umgekehrt „ziemlich bescheuert“, so zu tun, als könne man die absolute Mehrheit erringen. „Das glaubt uns ja kein Mensch.“

Da kann die SPD-Spitze natürlich nicht schweigen. „Wir werden um das Kanzleramt kämpfen“, sagt Vize-Parteichef Ralf Stegner dem Abendblatt. Albig habe in dieser Frage unrecht. Er sei froh, so Stegner, dass die SPD einen streitbaren Chef habe. „In der Union läuft das hingegen so: Mutti befiehlt, und alle gehorchen.“ Generalsekretärin Yasmin Fahimi nennt Albigs Gedanken „völlig abwegig“. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) verweist auf Anfrage auf die Aussagen von Fahimi, möchte sich selbst nicht äußern. Und Gabriel schweigt.

Von der Opposition kommen die galligsten Kommentare. „Auf eine eigene Kanzlerkandidatur zu verzichten wäre die Selbstaufgabe einer einst stolzen Partei“, sagt Grünen-Chefin Simone Peter. „Kopflos“, schimpft Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter. „Diese Luschenhaftigkeit“, sinniert Linksfraktions-Vizechef Dietmar Bartsch, „befördert Politikverdrossenheit.“ In der Konsequenz empfehle er „gleich die Parteifusion“ von CDU und SPD, ätzt FDP-Chef Christian Lindner.

Die CDU freut sich natürlich über das Eigentor. „Ministerpräsident Albig hat recht. Ich wünsche ihm viel Glück und Erfolg, seine Position in seiner Partei durchzusetzen“, sagt Thomas Strobl, stellvertretender CDU-Vorsitzender, dem Abendblatt. Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber begrüßt die unverhoffte Werbung für seine Chefin. „Es ist toll, dass viele Sozialdemokraten Angela Merkel für eine gute Kanzlerin halten“, sagt er und fügt hinzu: „Aber die SPD soll sich keinen falschen Hoffnungen hingeben. Wenn Angela Merkel wieder antritt, dann für die CDU und nicht für die SPD.“

Es sei ja nicht falsch, was Albig sage, erläutert ein SPD-Stratege, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Nur dürfe man darüber nicht öffentlich reden, weil die SPD sonst ein Motivations- und Argumentationsproblem bekäme. Zum einen könne man dann niemanden mehr zum Wahlkampf animieren. Zum anderen sei das hohe Lied auf den Soziussitz neben Merkel schon deshalb falsch, weil die Kanzlerin vieles nur auf Drängen der SPD durchgesetzt habe – Mindestlohn, Rente mit 63, EEG-Reform, Mietpreisbremse, Frauenquote. Merkel sei eine Frau ohne Kreativität und ohne Visionen. Sie könne deshalb nicht der Maßstab für die SPD sein.

Gabriel schweigt zu alledem und hat sich in den Urlaub verabschiedet

Vielleicht ist sie nicht das Maß aller Dinge. Aber „eine gute Kanzlerin, wie die Deutschen sie offensichtlich mögen“, sagte Albig. Zwar lobt Albig auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, der seinen Job „exzellent“ mache. Doch hängen bleibt bei dem Interview natürlich nur: Albig gibt die Wahl 2017 schon zwei Jahre vorher verloren. Und: Gabriel hat keine Chance. Der SPD-Vorsitzende selbst schweigt zu all dem. Er hat sich passenderweise am Donnerstagabend erst mal in den Urlaub verabschiedet.

Schwer zu sagen, ob er bewusst seine Partei ärgern oder seinen Leute in Schleswig-Holstein vor der Landtagswahl 2016 ein Signal der Unabhängigkeit liefern wollte. Vielleicht ist er aber auch nur ein Opfer des Formats: des Sommerinterviews. Der Ministerpräsident kommt ohne Krawatte, im Hintergrund Segelboote, auf dem Tisch ein Glas Latte macchiato. Sieht alles entspannt aus. Geliefert hat er dann Klartext. Die Vorliebe hat Albig von Peer Steinbrück, dem er als Sprecher im Finanzministerium diente, geerbt. Gut möglich, dass der Gelassene die Zuckungen der SPD nicht begreifen kann. Steinbrück hätte früher nur ein Wort gefunden: „Heulsusen-Partei.“

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