Brüssel. Die Euro-Partner bringen dem Ministerpräsidenten Alexis Tsipras bei, dass er sich für seinen Referendumssieg in Euroland nichts kaufen kann

Nach 17 Stunden Tag- und Nachtsitzung ist selbst die eiserne Kanzlerin nicht mehr in Bestform. Aber einen Scherz ringt sich Angela Merkel doch noch ab, als sie – Sakko hell, Augenringe dunkel – am Montagmorgen im Brüsseler Gipfel-Hauptquartier Bericht erstattet über den soeben verabredeten Griechenland-Deal. Frage: „Muss man nicht sagen, dass Griechenland hier behandelt wird wie Deutschland im Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg?“ Antwort: „An historischen Vergleichen beteilige ich mich nicht – insbesondere wenn ich sie nicht selber aufgestellt habe.“

Der Vergleich, den sie selber anstellt, ist ein anderer: „Minsk“. In der weißrussischen Hauptstadt hat Merkel im Februar an der Seite des französischen Präsidenten Hollande einen nächtlichen Verhandlungsmarathon mit den Herren Putin (Russland) und Poroschenko (Ukraine) durchgestanden. Das hat die Christdemokratin aus Berlin und den Sozialisten aus Paris menschlich zusammengeschweißt. Die Verbindung hat beim Griechenland-Showdown eine strapaziöse Bewährungsprobe zu bestehen.

Wie umgehen mit Tsipras? Da sind sich Deutsche und Franzosen durchaus nicht einig. Der griechische Premier ist mit einer Mission impossible nach Brüssel gekommen. Von seinem Volk und der großen Mehrheit des Parlaments hat er den Auftrag, den drohenden Grexit abzuwenden. Gleichzeitig soll er Stolz und Würde der Hellenen behaupten. Doch beides zusammen geht nicht. Hollande sorgt sich eher um die Würde, Merkel mehr um Gegenleistungen für die erbetene Hilfe aus dem Nottopf ESM, immerhin 86 Milliarden in den kommenden drei Jahren.

So werden es „harte Verhandlungen mit durchaus harten Bedingungen“ (Merkel). Viel fehlt nicht, und der Rekord, aufgestellt in Nizza im Jahr 2000, wäre egalisiert: 18 Stunden haben sie damals ununterbrochen getagt. Unterbrechungen gibt es diesmal schon, allerdings nicht für Merkel und Hollande, die eigentlichen Regisseure dieses Gipfels. Gleich dreimal muss die große Runde eine Auszeit nehmen, um eine Separat-Besprechung des deutsch-französischen Tandems mit Tsipras und dem Gipfelvorsitzenden Tusk zu ermöglichen.

Zwei Forderungen vor allem sind es, mit denen sich die Griechen partout nicht abfinden mögen. Der Internationale Währungsfonds (IWF), so wollen es die Partner, muss auch an einem neuen Programm als Geld- und Ratgeber beteiligt sein. Tsipras sträubt sich, der IWF ist als rücksichtslose Sparaufsicht verschrien. Es nützt nichts – die Mitwirkung des IWF ist nicht nur eine rote Linie der Deutschen. Sie steht ausdrücklich im ESM-Vertrag.

Der zweite Knackpunkt betrifft eine Art Auktionshaus für das Tafelsilber der griechischen Staatskasse. Weil die Privatisierung dort bisher kaum vorangekommen ist, wollen die Gläubiger jetzt die Sache selbst in die Hand nehmen: Ein Treuhandfonds soll Häfen, Autobahnen, Flughäfen und anderes öffentliches Eigentum verkaufen. So lange, bis 50 Milliarden Euro zusammengekommen sind. Tsipras wehrt sich standhaft und erreicht immerhin ein paar kosmetische Korrekturen: Der Fonds soll nun nicht in Luxemburg, sondern in Athen sitzen, von Griechen gemanagt werden (freilich unter Kon­trolle der Gläubiger) und ein Viertel seiner Erlöse für Investitionen in die Wirtschaft zur Verfügung stellen.

Als darüber schließlich Einvernehmen besteht, ist die Runde schon nicht mehr vollständig. Sloweniens Premier Miro Cerar hat um sieben Uhr das Feld räumen müssen – er hat einen Termin mit dem Nato-Generalsekretär. Der niederländische Amtsbruder Mark Rutte, gleichfalls kein großer Hellas-Versteher, bekommt die slowenische Stimme anvertraut. Am Ende präsentiert sich Hollande als Vermittler: Er habe sich der Option Grexit widersetzt, obwohl es in Deutschland doch so viel Druck in dieser Richtung gebe und das Thema von deutscher Seite ins Spiel gebracht worden sei: „Es lag in Frankreichs Interesse, Griechenland im Euro zu halten, aber auch Europa voranzubringen und einen Kompromiss mit Deutschland zu finden.“

Tsipras räumt ein, dass die Griechen nunmehr im eigenen Land nicht mehr das Sagen haben: „Wir werden dafür kämpfen, unsere verlorene Souveränität wiederzugewinnen.“ Die große Mehrheit des Volkes sei weiter auf seiner Seite. „Sie verstehen, dass wir bis zum bitteren Ende unser Bestes gegeben haben.“

Tatsächlich atmete Griechenland nach der Einigung beim Gipfeltreffen der Euro-Zone auf, von Jubel konnte aber keine Rede sein. Die Griechen wissen, dass auf sie harte Zeiten zukommen. Viele sehen in dem vor einer Woche zurückgetretenen Finanzminister Giannis Varoufakis den Hauptverantwortlichen für die gescheiterte Verhandlungsstrategie der vergangenen Monate. „Das Übereinkommen ist demütigend für das Land und für das griechische Volk“, beklagte die Plattform der Linken, die den linken Flügel der Regierungspartei Syriza repräsentiert.

Der konservative Oppositionsführer Evangelos Meimarakis meinte: „Griechenland rang sich leider erst fünf Minuten nach zwölf zu einem Übereinkommen durch. Ein Scheitern des Gipfels wäre eine Katastrophe gewesen.“ Seine Partei Nea Dimokratie will – ebenso wie die Sozialisten und die liberale Partei Potami (Fluss) – die Linksregierung von Tsipras dabei unterstützen, die zugesagten Sparvorhaben durch das Parlament zu bringen.