Hamburg/Berlin. AfD-Gründer will nach Austritt Plan B umsetzen. Auch Landeschef Kruse gibt auf. Henkel: „Partei verkümmert zu ostdeutschem Phänomen.“

Mit Bernd Luckes Austritt hatten sie bei der Alternative für Deutschland (AfD) seit einer Weile gerechnet. Längst einkalkuliert ist auch die Gründung einer neuen Partei. „Es ist völlig klar, was er vorhat“, sagt der NRW-Chef der AfD, Marcus Pretzell, dem Abendblatt. „Er ist schon lange zweigleisig gefahren“, unkt der Vertraute von Parteichefin Frauke Petry. Seit dem Parteitag in Essen am Wochenende sind die Verhältnisse geklärt. Lucke hat den Machtkampf um den AfD-Vorsitz gegen Petry verloren und will heute offiziell austreten. Viele werden dem Beispiel des AfD-Gründers folgen. Einige haben es angekündigt.

Hamburgs AfD-Vorsitzender Jörn Kruse will wegen des Rechtsrucks und der
Hamburgs AfD-Vorsitzender Jörn Kruse will wegen des Rechtsrucks und der © dpa | Christian Charisius

Der Parteitag in Essen hat auch für den Hamburger AfD-Landesvorsitzenden Jörn Kruse, einen engen Weggefährten Luckes, vieles verändert. „Ich bin entschlossen, als Landeschef zurückzutreten“, sagte Kruse am Rande der gestrigen Bürgerschaftssitzung dem Abendblatt. Die Entscheidung sollte noch in der Nacht fallen. Der emeritierte Wirtschaftswissenschaftler will anders als Lucke allerdings in der Partei bleiben. „Ich trete nicht aus, weil mir die Fraktion am Herzen liegt“, hatte Kruse, der auch Fraktionsvorsitzender ist, bereits am Dienstag gesagt.

Kruse kapituliert vor Rechtsruck

Nach dem Sturz Luckes hatte Kruse einen „deutlichen Rechtsruck“ der Bundes-AfD konstatiert und seine Mitarbeit in der Bundesprogrammkommmission aufgekündigt. „Selbstverständlich kann ich für eine solche rechte Partei nicht arbeiten, und ich kann auch meinen Namen dafür nicht hergeben“, sagte Kruse. Doch den Hamburger Landesverband will der Wissenschaftler noch nicht aufgeben. Mit seinem Rücktritt wolle er mit seinen Weggefährten des liberal-konservativen Lagers den Weg für eine innerparteiliche Klärung frei machen. „Wir wollen einen neuen Parteitag, auf dem festgelegt wird, wohin die Reise gehen soll“, sagte Kruse. Die Essener Beschlüsse stimmten nicht mit dem überein, was in der Hamburger AfD Programm sei. Reguläre Vorstandswahlen sind erst für den März vorgesehen. Möglicherweise wird daher ein Sonderparteitag einberufen.

Für Hans-Olaf Henkel, der bereits am Sonntag ausgetreten war, kommt Luckes Entscheidung nicht überraschend. „Ich habe Lucke nicht darin bestärkt – das war gar nicht nötig.“ Der Austritt sei konsequent, sagte Henkel dem Abendblatt. AfD-Vize Alexander Gauland sieht das genau so. „Die AfD ist nicht mehr seine Partei.“ Gauland sagt das aus einer anderen Perspektive als Henkel. Lucke habe in den „vergangen Monaten alles falsch gemacht“.

„Weckruf“ zählt schon 4000 Mitglieder

Jetzt also Plan B: Lucke hatte schon im Mai die Initiative „Weckruf 2015“ ins Leben gerufen, um sich zu vergewissern, wie viel Rückhalt ihm geblieben war. 4000 Mitglieder zählt „Weckruf“. Die Hälfte beteiligt sich gerade an einer Befragung über die Gründung einer neuer Partei. Dafür stimmten bisher mehr als 75 Prozent. Am 19. Juli wollen sich die Unterstützer in Kassel treffen. „Weckruf“ hat, einer Partei nicht unähnlich, eine Satzung und angeblich auch bereits eine Internetseite für den Neustart reserviert.

Henkel, der wie Lucke für das eher seriöse, akademische Profil der AfD stand, überlegt, ob er bei einer neuen Partei mitmacht. „So weit bin ich noch nicht“, sagt er. Fast 22.000 Mitglieder hat die AfD. Wie viele ihr den Rücken zukehren werden, ist unklar. Klarer erscheint hingegen: Die AfD rückt ohne ihren Wirtschaftsflügel um Lucke und Henkel weiter nach rechts. „Zwischen der AfD und der Union ist jetzt viel Platz für eine neue Partei“, sagt Henkel. Die AfD sei heute nur noch eine Protestpartei, sie „wird zu einem ostdeutschen Phänomen verkümmern“.

Chaos im EU-Parlament

Chaotisch ist die Situation im EU-Parlament. Von sieben AfD-Abgeordneten wollen fünf die Partei verlassen. Die AfD wird künftig in Straßburg nur noch von Pretzell und seiner Kollegin Beatrix von Storch vertreten. In der EKR, einem 74-köpfigen Zusammenschluss von europäischen Konservativen und Euro-Skeptikern, werden sich künftig drei deutsche Parteien tummeln: wie bisher die AfD, die Familienpartei und fortan als dritte Gruppe Lucke und seine Freunde vom „Weckruf“.

Das gefällt Gauland gar nicht. Er fordert Lucke und Henkel auf, ihre Mandate aufzugeben. „Das verlangen die Regeln des politischen Anstands“, sagte Gauland dem Abendblatt – und meint jeden, der sein Mandat im Europa- oder in einem Landesparlament auf AfD-Ticket bekommen hat und jetzt austritt.

Henkel, den Gauland aus dem EU-Parlament drängen will, hat mit seiner alten Partei noch eine Rechnung offen. Die AfD schuldet ihm Geld. Henkel hatte der Partei einen Kredit von einer Million Euro gewährt – als Starthilfe für die Wahlkämpfe. Zwei Drittel sind jedoch schon getilgt, am 1. September wird die AfD die letzte Rate zahlen.