Essen. Rechter Flügel trägt die neue Vorsitzende zum Sieg. Parteigründer denkt an Austritt

Aus, vorbei. Parteigründer Bernd Lucke stopft seine Utensilien in den Rucksack und verlässt fast schon fluchtartig das Podium – während die neue AfD-Vorsitzende Frauke Petry in ihrer Dankesrede ans Parteivolk nachtritt und mit weiteren Demütigungen des Rivalen jede Aussöhnung unmöglich macht. Kurz zuvor hatte sich die sächsische Landesvorsitzende am Sonnabend auf dem Sonderparteitag der AfD mit satter 60-Prozent-Mehrheit gegen Lucke durchgesetzt. Am Sonntag endete der Parteitag nach tumultartigem Verlauf.

Zu Petrys Stellvertreter wurde der Professor für Volkswirtschaft, Jörg Meuthen gewählt. Weitere Vorstandsmitglieder sind nun der Brandenburger AfD-Chef Alexander Gauland, die Europaparlamentarierin Beatrix von Storch und Albrecht Glaser aus Hessen.

Das Misstrauen der innerparteilichen Fraktionen war grenzenlos

Die erst Anfang 2013 von Anti-Euro-Verfechter Lucke gegründete AfD rückt mit Petry deutlich nach rechts. Lucke bleibt als Alternative nur die Gründung einer neuen Partei um den von ihm ins Leben gerufenen Verein „Weckruf 2015“. Dieser scheiterte mit dem Plan, das Abgleiten der AfD an den rechten Rand zu stoppen. Bei einem Treffen von Vereinsmitgliedern noch am Sonnabendabend soll es unterschiedliche Meinungen gegeben haben.

Dem Parteitag waren scharfe Auseinandersetzungen zwischen dem wirtschaftsliberalen und dem nationalkonservativen Flügel vorausgegangen, die sich in der aufgeheizten Grugahalle schier endlos fortsetzten. Ungezählte Anträge und Einsprüche zu Verfahrensfragen verzögerten den Ablauf. Gerne buhten sich die Parteifreunde gegenseitig aus. Am Sonntag gab es Gedränge und Gejohle, als das Gerücht aufkam, Lucke sei bereits aus der Partei ausgetreten. Tatsächlich hat er damit gedroht, aber betont, „keinen Schnellschuss machen zu wollen“. Der frühere Industriepräsident Hans-Olaf Henkel scheint da entschlossener. Er will nach ZDF-Informationen die Partei verlassen. Henkel war bereits im April wegen des Richtungsstreits in der AfD als Parteivize zurückgetreten.

3500 AfD-Mitglieder, ganz überwiegend Männer, meistens deutlich in der zweiten Lebenshälfte, waren nach Essen gekommen. Die Gegendemo vor der Halle brachte kaum mehr Menschen auf die Beine, als die Polizei Hunde mitgebracht hat. Die AfD brauchte aber gar kein äußeres Feindbild. Das Misstrauen der innerparteilichen Fraktionen war grenzenlos. Kaum einer sprach für Frontmann Lucke, dem Wirtschaftsprofessor aus Hamburg. Viele gegen ihn, so wie der NRW-Parteichef Marcus Pretzell in seinem „Grußwort“: „Wir sind Euro und Pegida und noch viel mehr.“

Lucke, bei seinem Auftritt empfangen von vielen Pfiffen, trug den „Weckruf 2015“-Button auf der Herzseite seines weißen Hemds. Er redete von „problematischen Mitgliedern in der AfD“ und versuchte, die Partei hinter sich zu bringen, indem er Kanzlerin Merkel als Betrügerin und Täuscherin attackierte. Aber er nahm Stellung für Verfolgte und Moslems, riet dem rechten Lager, sich „nicht der Versuchung hinzugeben, billige Stimmung zu erzeugen“, und „dass wir eine Pegida-Partei sind, haben wir nie beschlossen“. Die Stimmung der Mehrheit in der Halle traf er damit nicht. Den größten Applaus gab es bei gegen Ausländer und Moslems gerichteten Äußerungen. Etwa bei Luckes nunmehriger Nachfolgerin Frauke Petry. „Der Islam transportiert ein Staatsverständnis, das mit dem Grundgesetz unvereinbar ist“, erklärte Petry unter dem Jubel der Menge. Bei manchem Teilnehmer schien es schon zu genügen, wenn ein Redner nur Bulgarien und Rumänien erwähnte oder den Islam, damit es aus ihm herausbrach. Über die Pegida-Demonstranten sagte die einfach, aber pointiert formulierende Petry: „Es sind die Bürger, für die wir primär Politik machen sollten.“

Petry nennt ihren Stil „konstruktiv mit gelegentlichem Hang zur Provokation“

Die 40 Jahre alte promovierte Chemikerin kam 2013 ohne politische Erfahrungen zur AfD. Doch in den östlichen Bundesländern, wo viele unzufriedene Wech- selwähler leben, hat ihr das sogar einen gewissen Vertrauensvorsprung verschafft. Ihren Politikstil beschreibt sie selbst als „konstruktiv mit einem gelegentlichen Hang zur Provokation“. Nach einer längeren Phase der Entfremdung forderte sie den Parteigründer in diesem Frühjahr offen heraus. Petry ist mit einem evangelischen Pfarrer verheiratet und hat vier Kinder. Als Wissenschaftlerin heimste sie Preise ein. Als Unternehmerin war sie weniger erfolgreich. Seit Herbst 2014 ist sie Fraktionsvorsitzende der AfD im sächsischen Landtag.

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