Hamburg. Dem Land droht in wenigen Tagen die Staatspleite. Die wichtigsten Fragen zur dramatischen Zuspitzung der Euro-Krise

Griechenland steuert in eine ungewisse Zukunft. Am morgigen Dienstag läuft das aktuelle Hilfspaket aus, frische Rettungsmilliarden sind trotz monatelangen Gezerres mit den internationalen Geldgebern nicht in Sicht. Eine Schlüsselrolle kommt der Europäischen Zentralbank (EZB) zu. Sie hielt nach einer Sitzung des EZB-Rates die Notkredite für griechische Banken vorläufig auf dem aktuellen Stand von 90 Millionen Euro (siehe unten).

Die Euro-Finanzminister hatten am Sonnabend eine Verlängerung der Hilfen abgelehnt. „Es ist zwar sehr bedauerlich. Aber das Programm wird dennoch am Dienstagabend auslaufen. Das ist die letzte Phase gewesen, wo noch eine Einigung möglich gewesen wäre“, sagte Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem am Sonnabend in Brüssel.

„Plan B wird nun zu Plan A“, sagte der finnische Außenminister Alexander Stubb. Mit Plan B ist möglicherweise die Staatspleite und ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone gemeint. Die Euro-Gruppe zog die Notbremse, nachdem der griechische Regierungschef Alexis Tsipras überraschend ein Referendum über die Sparforderungen der Geldgeber angekündigt und zugleich zur Ablehnung der Vorschläge aufgerufen hatte. Das Parlament in Athen setzte die Volksabstimmung dann in der Nacht zum Sonntag wie von Tsipras gefordert für den 5. Juli an.

Dabei sollen die Menschen über das von den Geldgebern vorgelegte Spar- und Reformpaket abstimmen, obwohl es dieses Hilfsangebot dann nicht mehr gibt. Allerdings sagte die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, der BBC, wenn es dabei ein „überwältigendes Ja“ geben sollte, dann hieße die Antwort der Geldgeber: „Lasst es uns versuchen.“ Auch EU-Kommissar Pierre Mos­covici signalisierte via Twitter: „Die Tür ist weiter offen.“

Was passiert nach Auslaufen des aktuellen Hilfspakets am Dienstag?

Ohne Einigung auf ein Reformpaket fließen 15,5 Milliarden Euro Hilfen nicht, die die Geldgeber – Internationaler Währungsfonds (IWF), EZB und die Partner in Europa – zuletzt in Aussicht gestellt hatten. Da Athens Kassen ohnehin faktisch schon leer sind, wird es für die Links-rechts-Regierung schwierig, ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen, sowohl in der Heimat als auch gegenüber den Geldgebern. Es ist fraglich, ob Griechenland die ebenfalls am 30. Juni fällige Rückzahlung an den IWF in Höhe von rund 1,6 Milliarden Euro leisten kann. Moritz Kraemer, Chefanalyst des Ratingriesen Standard & Poor’s (S&P) für die Bewertung der Kreditwürdigkeit von Staaten, ist skeptisch: „Die Regierung in Athen muss zum Monatsende nicht nur den IWF bezahlen, sondern auch ihre eigenen Bediensteten und Pensionäre – und auch dafür ist nach unserer Einschätzung kein Geld mehr da.“

Muss Griechenland dann am 1. Juli die Staatspleite erklären?

Eine Zahlungsunfähigkeit schon unmittelbar am 1. Juli bei endgültig gescheiterten Verhandlungen gilt als ausgeschlossen, zumal es keine verlässlichen Zahlen gibt, wie viel Geld Athen tatsächlich noch in der Kasse hat. Zudem hat das griechische Parlament beschlossen, am 5. Juli das Volk über das von den Geldgebern vorgelegte Spar- und Reformpaket abstimmen zu lassen. Auch das zieht die Entscheidung in die Länge.

Folgt nach der Staatspleite zwingend der Euro-Austritt Griechenlands?

Nein. Der EU-Vertrag sieht nicht vor, dass ein Land aus dem Euro austritt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) betont: „Im Übrigen ist auch klar: Griechenland bleibt Mitglied der Euro-Zone. Übrigens bleibt Griechenland Teil Europas.“ Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), ist anderer Meinung. Er hat den Eindruck, dass die griechische Regierung aus der Euro-Zone und der Europäischen Union austreten will. „Ansonsten hätten sie ein Abkommen ausgehandelt“, sagte Brok der „Neuen Westfälischen“. Auch viele Ökonomen halten einen Austritt Griechenlands aus dem Euro-Raum (Grexit) im Falle einer Staatspleite für wahrscheinlich. Zwar könnte das Land zunächst auf dem Papier ein Euro-Land bleiben, müsste aber Geld in einer eigenen Währung ausgeben, um seine Banken zu versorgen. „Die neue Währung würde abwerten gegenüber dem Euro, und damit würde das Land wieder wettbewerbsfähig“, erklärt ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Doch grundsätzliche Probleme blieben – etwa eine als aufgebläht geltende Verwaltung und ein als ineffizient geltendes Steuersystem.

Hat Athen Chancen auf ein drittes Hilfspaket?

Seit 2010 gab es zwei Rettungsprogramme für Athen mit einem Umfang von insgesamt rund 240 Milliarden Euro – für Deutschland liegt das Ausfallrisiko bei rund 80 Milliarden Euro. In den Verhandlungen der vergangenen Monate hatte die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras versucht, einen Schuldenerlass und somit faktisch ein drittes Hilfspaket zu erzwingen. Doch beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande ein drittes Hilfspaket erneut ausgeschlossen: „Es wird kein drittes Programm geben.“

Nachdem die Griechen die Verhandlungen mit der Ankündigung eines Referendums torpedierten, ist das Vertrauen der Euro-Partner in die Regierung Tsipras zusätzlich beschädigt. Nach Ansicht des österreichischen Finanzministers Hans Jörg Schelling ist Griechenland bei seinem Poker zu weit gegangen: „Ich glaube, dass Griechenland unterschätzt hat, dass die Euro-Gruppe sich nicht erpressen lässt.“ (HA)