Berlin. Familienministerin Schwesig wirbt für bereitgestellten Fonds. Betroffene beklagen hohe bürokratische Hürden und fordern eine Reform

Das Geld ist da – doch die Nachfrage ist gering: Nur zehn Prozent der staatlichen Mittel zur Unterstützung von Missbrauchsopfern sind bislang abgerufen worden. Fünf Jahre nach dem „Runden Tisch“ zum sexuellen Kindesmissbrauch fürchten Opfervertreter jetzt, dass die Gelder ungenutzt bleiben, weil das Hilfssystem zu wenig bekannt sei. Bereits in zehn Monaten läuft das Programm aus.

2200 Anträge von Missbrauchsopfern sind eingegangen, knapp 900 Menschen haben Hilfen bekommen – etwa, um eine Therapie zu finanzieren. In 85 Prozent ging es um Missbrauch in der Familie, in drei Prozent um Täter aus Institutionen – Schulen, Kirchen oder Sportvereine. Seit zwei Jahren können sich Opfer an die Geschäftsstelle des Hilfsfonds beim Bundesfamilienministerium wenden (www.fonds-missbrauch.de). Pro Fall werden Hilfen von bis zu 10.000 Euro genehmigt.

Geld gibt es aus zwei Töpfen: Im Fonds für die Opfer familiären Missbrauchs stehen rund 58 Millionen Euro bereit. Zehn Prozent sind bereits ausgegeben. In einem zweiten Programm haben sich wichtige Institutionen bereit erklärt, Opfer zu unterstützen: Neben den beiden großen Kirchen sind das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) im Boot. Bei den Ländern, die als Träger von Schulen Verantwortung tragen, hat sich jetzt als erstes Bundesland Hamburg verpflichtet. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) rechnet damit, dass auch die anderen Länder nachziehen. Sie hat Betroffene aufgerufen, Anträge für Hilfsleistungen zu stellen. Schwesig betonte: „Mir ist es wichtig, dass den Betroffenen sexuellen Missbrauchs schnell und unbürokratisch Hilfen gewährt werden können.“ Die Hilfen sind jedoch immer nur als Ergänzung gedacht: etwa wenn die Krankenkasse eine Therapie nicht ganz übernimmt.

Hinter dem Hilfsprogramm steht die Idee, Opfer zu unterstützen, bis ein Opferentschädigungsgesetz in Kraft tritt: Nach den jetzigen Regelungen haben es Erwachsene, die als Kind missbraucht wurden, schwer, Hilfsansprüche zu begründen. Fälle, die zu weit zurückliegen, werden überhaupt nicht berücksichtigt. Ursprünglich sollte die Reform der Entschädigung bis 2016 kommen – inzwischen heißt es: nicht vor 2020. Verantwortlich ist das Sozialministerium: „Ministerin Nahles muss die ärgerliche Verschleppung der Reform jetzt schnell beenden und zügig einen Entwurf vorlegen“, sagte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, dem Abendblatt.

Mit Sorge schauen Opfervertreter nun auf das Ende der öffentlichen Programme im April 2016: „Das ergänzende Hilfssystem muss bis zur Reformierung des Gesetzes bleiben“, mahnte die Betroffenenvertreterin Maren Ruden.