Washington . Vorwürfe gegen das Weiße Haus: Die Terror-Miliz „Islamischer Staat“ soll lange vom Westen unterstützt worden sein

Die amerikanische Regierung soll die Öffentlichkeit über das in Syrien wie im Irak zuletzt durch bedeutende militärische Geländegewinne aufgefallene Netzwerk „Islamischer Staat“ (IS) nicht nur jahrelang belogen haben. Die nach einem weltumspannenden Kalifat trachtende Terror-Miliz soll in ihrer Entstehungsphase vom Westen, den Golfstaaten und der Türkei sogar latent unterstützt worden sein, um das Regime des syrischen Diktators Assad zu schwächen und dessen Verbindung zum Iran zu kappen. Das ist das Fazit diverser Berichte konservativer Obama-kritischer US-Medien, die sich auf bislang geheim gehaltene Dokumente der Defence Intelligence Agency (DIA) stützen.

Der mit 7500 Mitarbeitern ausgestattete Militär-Geheimdienst, der als wichtigster Ratgeber des Generalstabs und des Verteidigungsministers gilt, hatte danach bereits vor drei Jahren festgestellt, dass nicht die im Westen inflationär oft angeführte „moderate Opposition“ den Ton im Kampf gegen Assad angibt. „Die Ausweitung des Aufstands in Syrien schlägt zunehmend eine „sektiererische Richtung“ ein und „die Salafisten, die Muslimbruderschaft und die AQI (das Terrornetzwerk al-Qaida im Irak, d. Red.) sind die Hauptantriebskräfte für den Aufstand“. So steht es in offiziellen Unterlagen, die im Internet unter http://www.judicialwatch.org/document-archive im Original einzusehen sind. Aber: Was heute in offiziellen Darstellungen der US-Regierung als große Gefahr für die Region und die ganze Welt bezeichnet wird, eben die Expansion des IS, bewerteten die Militär-Sachverständigen mit Blick auf den Irak 2012 offenbar eher als „strategische Chance“.

Die „Etablierung eines erklärten oder nicht erklärten Salafisten-Hoheitsgebietes in Ost Syrien“, heißt es in den auf Drängen der konservativen Bürgerrechts-Organisation Judicial Watch per Gerichtsbeschluss teilweise freigegebenen Akten, „ist genau das, was die Mächte, die die Opposition (in Syrien) unterstützen, wollen. Sie wollen das syrische Regime isolieren, da es für die schiitische Expansion (im Irak und Iran) als strategisch bedeutsam gilt“. Mit „Mächte“ sind „der Westen, die Golfstaaten und die Türkei“ gemeint. Während die DIA Russland, China und Iran als verlässliche Stützen des Assad-Regimes ausgemacht hat. Weil der Bericht der Militär-Schlapphüte nach Analyse des solide beleumundeten US-Journalisten Nafeez Ahmed in Washington auch anderen Geheimdiensten (CIA, NSA etc.), dem Außenministerium, dem Heimatschutzministerium und dem Nationalen Sicherheitsrat vorgelegt worden sein soll, dem Obama vorsitzt, steht das Weiße Haus in den nächsten Tagen voraussichtlich in der Schusslinie.

Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer, der unlängst den „Islamischen Staat“ bereist und ein Buch darüber geschrieben hat, ging in seiner Polemik besonders weit. Obama, der Friedens-Nobelpreisträger, erscheine als „Terror-Pate“. Der Westen erweise sich als „wissentlicher Förderer des internationalen Terrorismus“. Das Dokument der Militär-Geheimdienstler sei eine „Sensation und ein politischer Skandal“, sozusagen ein „terroristisches Watergate“. Todenhöfers Lesart: Die US-Regierung wollte einen „salafistischen Terrorstaat in Ost-Syrien“ und nahm dabei „zusätzlich bewusst in Kauf, dass der IS einen islamistischen Terrorstaat gründen konnte, der Teile des Irak umfasste“.

Die US-Regierung hat auf den massiven Vorwurf, das Schreckensregime des „Islamischen Staats“ mehr oder minder durch Duldung selbst herangezüchtet zu haben, bisher nicht offiziell reagiert. Erwartet wird nach Einschätzung verschiedener Denkfabriken ein „scharfes Dementi“ und der Verweis auf eine „Verschwörungstheorie“. Es sei abwegig zu glauben, dass die Regierung Obama „ernsthaft am Wachstum einer menschenverachtenden Terror-Truppe interessiert gewesen sein soll, die die gesamte Region destabilisiert“, hieß es in Washington.

Dort gibt es gerade ganz andere Baustellen. Nach der harschen Kritik von Verteidigungsminister Ashton Carter, der den irakischen Truppen beim Fall der Schlüsselstadt Ramadi Feigheit vor dem Feind (IS) vorgeworfen hatte, bemühte sich das Weiße Haus via Telefon-Diplomatie um Schadensbegrenzung. Vizepräsident Joe Biden versicherte Iraks Premierminister Abadi, der äußerst ungehalten reagierte, dass die USA sehr wohl „die enormen Opfer und den Mut der irakischen Truppen in Ramadi und anderswo anerkennen“. Ob hinter Bidens Mea-Culpa mehr steckt als nur das Zurückpfeifen des neuen Verteidigungsministers, ist unklar. Profitieren von dem Disput will aber Teheran. Kassem Suleimani, Kommandant der mächtigen Al-Kuds-Elite-Einheiten, die maßgeblich den Kampf gegen den IS im Irak anführen, warf Amerika bei einem seiner seltenen Auftritte schlicht Untätigkeit vor. Washington zeige gar keinen „Willen“, die Terror-Miliz zu schlagen, sagte der General. Für ihn grenze dieses Verhalten fast schon an Komplizenschaft.