Berlin/Elmau. Experten fürchten Krawalle rund um Elmau. Massive Kontrollen an den Grenzen. Schon jetzt Ausnahmezustand in Oberbayern

Eigentlich hat die Kanzlerin für US-Präsident Barack Obama und die fünf anderen Regierungschefs einen denkbar sicheren Tagungsort ausgewählt: Zum G7-Gipfeltreffen der großen westlichen Industriestaaten lädt Angela Merkel in knapp zwei Wochen ins Luxushotel Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen. Die noble Alpenoase liegt auf tausend Meter Höhe in einem Tal, das nur über eine kleine, leicht zu sperrende Mautstraße zu erreichen ist. Vor der Kulisse des Wettersteinmassivs mit der Zugspitze will Merkel dort am 7. und 8. Juni mit den Regierungschefs und führenden EU-Politikern über internationale Krisen und gemeinsame Initiativen etwa im globalen Klima- oder Arbeitsschutz beraten.

Doch trotz der abgeschiedenen Lage herrscht in der Region südlich von München schon jetzt der Ausnahmezustand: 17.000 Polizisten werden im Einsatz sein, um die Mächtigen der westlichen Welt zu bewachen. Bereits gestern hat die Bundespolizei damit begonnen, Reisende an den deutschen Grenzen wieder zu kontrollieren. Das Schengener Abkommen ist bis Mitte Juni ausgesetzt, um die Einreise gewaltbereiter Demonstranten zu verhindern. Kontrollen sind an den Grenzen zu Österreich und Tschechien ebenso geplant wie etwa im Fährverkehr aus Skandinavien. Nachdem es im März zur Eröffnung der EZB-Zentrale in Frankfurt zu massiven Ausschreitungen gekommen war, fürchten Sicherheitsbehörden jetzt auch schwere Krawalle in Bayern. Es gebe reale Bezüge zwischen beiden Veranstaltungen, heißt es beim G7-Planungsstab der Polizei.

Schon drei Tage vor dem Gipfel werden Zehntausende Demonstranten in München erwartet, unmittelbar vor dem Treffen ist eine Großkundgebung in Garmisch-Partenkirchen geplant. Ein Camp des Protest-Bündnisses „Stop G7“ in Garmisch wurde gestern verboten. Das Tagungsgelände ist weiträumig abgesperrt, auf sieben Kilometern Länge ist ein drei Meter hoher Zaun errichtet. Aus Polizeisicht gibt es ein Problem: Nur auf den ersten Blick sei das idyllische Tal „ein taktischer Vorteil“, sagt Hans-Peter Kammerer vom G7-Planungsstab. Tatsächlich bestehe für die Einsatzkräfte im alpinen Gelände eine „besondere Herausforderung.“ Protestdemonstrationen von Gleitschirmfliegern oder Kletterern haben Sicherheitsexperten ebenso einkalkuliert wie Randalierer, die sich als Wanderer getarnt einen Weg durch die Wälder suchen. Und auch die Gefahr terroristischer Angriffe bestehe, heißt es. Polizisten sind deshalb auf einer Berghütte auf 2366 Meter Höhe und auf umliegenden Almen stationiert; schon seit Wochen gehen Beamte in den Wäldern auf Streife.

Ob sich der Aufwand mit Kosten von mindestens 130 Millionen Euro lohnt? Nein, meint die Opposition im Bundestag und lästert über „viele schöne Gipfelerklärungen, die nie etwas veränderten“, wie Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagt. Das Aktionsbündnis „Stop G7“ spricht von einem „teuren PR-Event“ für schöne Fotos, auf dem nur vorher abgestimmte Erklärungen vorgelegt würden.

Doch Kanzlerin Merkel weist das entschieden zurück. Die Staats- und Regierungschefs hätten bei ihrem Treffen eine Vielzahl von Krisen zu beraten: Vom ungelösten Ukraine-Konflikt, der zum Ausschluss Russlands aus dem exklusiven Gipfel-Kreis geführt hatte, über den Nahen Osten bis zur Bedrohung durch internationalen Terrorismus. Als Gipfel-Gastgeberin will Merkel auch Initiativen im Klima- und Meeresschutz, bei Frauenrechten oder besseren Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern durchsetzen. „Die G7 sollen Druck machen, dass internationale Standards beim Arbeitsschutz auch eingehalten werden“, fordert sie mit Blick auf die berüchtigten Textilfabriken Bangladeschs. Der Gipfel wird nach Merkels Plänen Zeichen setzen im weltweiten Kampf gegen Seuchen und Antibiotika-Resistenzen. Von Elmau soll auch ein Signal ausgehen für die Verhandlungen über ein neues Klimaschutzabkommen in Paris Ende des Jahres; Entwicklungsländer werden wohl mehr Geld bekommen. Ein Treffen der G7-Energieminister vor wenigen Wochen in Hamburg verlief allerdings ziemlich ernüchternd. Merkel ist im Vorfeld vorsichtig geworden: „Man kann noch nicht genau absehen, wie weit wir bei den konkreten Verhandlungen kommen“.

US-Präsident Obama kommt ohneseine Frau Michelle nach Deutschland

Sorgen hat sich das Kanzleramt zuletzt gemacht, dass die BND-Affäre die Stimmung auf dem Gipfel trüben könnte: Gerüchte, Obama sage die Gipfelteilnahme ab, wenn Berlin eine wie auch immer begrenzte Offenlegung amerikanischer Suchaufträge für den Bundesnachrichtendienst beschließt, wurden in Washington zwar dementiert. Aber mit einer ernsten Verärgerung ihres wichtigsten Gastes müsste Merkel rechnen. Kritische Reaktionen gibt es inzwischen auch von EU-Partnern, die nach der öffentlichen Aufregung in Deutschland eine Spionagedebatte auch im eigenen Land fürchten. Eine Entscheidung, ob und auf welche Weise der Bundestag Einblick in die Selektorenliste mit Suchaufträgen erhalten soll, wird die Regierung deshalb erst nach dem Gipfel bekannt geben – der Koalitionspartner SPD hat Verständnis für Merkels Nöte signalisiert und intern eine entsprechende Frist verlängert. Ob die Vertagung des Problems Obama besänftigen wird, ist offen. Dass der Präsident nach jetzigem Stand wohl ohne seine Gattin Michelle nach Deutschland kommt, dürfte allerdings schon ein Signal sein.

Merkels Ehemann Joachim Sauer muss als Gastgeber des Begleitprogramms für mitreisende Ehefrauen wohl auf die First Lady verzichten, wenn er zu Museumsbesuchen und Hüttenzauber einlädt.