Berlin. Beim Besuch von Präsident Rivlin in Berlin werden auch Meinungsunterschiede deutlich

Als der erste deutsche Botschafter in Israel vor 50 Jahren in Jerusalem eintraf, ging Reuven Rivlin auf die Straße und protestierte. Der junge Student mischte sich unter eine wütende Menschenmenge, rief „Nazis raus“ und bewarf den deutschen Diplomaten mit Tomaten. Wie viele andere Israelis mochte er nicht glauben, dass die Deutschen nach den Nazi-Verbrechen „ihre Lektion gelernt hatten“.

50 Jahre später steht Rivlin, heute Präsident Israels, an der Seite von Bundespräsident Joachim Gauck im Schloss Bellevue und zieht zufrieden Bilanz nicht nur der diplomatischen Beziehungen. Er sei nach Deutschland gekommen, um 50 Jahre Freundschaft zu begehen, sagt der Präsident zum Auftakt seines Staatsbesuchs. Und Gauck erklärt, zwar habe die Vergangenheit der Menschheitsverbrechen des Holocaust eine „unauflösliche Verbindung“ beider Länder gebracht, doch verbinde sie auch der Glaube an gemeinsame Werte.

Rivlins Besuch zur Feier des Jubiläums sei Ausdruck der engen Partnerschaft zwischen beiden Ländern, betont Gauck. Am Dienstag ist das israelische Staatsoberhaupt Ehrengast bei einem Festakt in der Berliner Philharmonie, vorher trifft er mit Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier zusammen.

Auf das Erreichte zwischen beiden Staaten könne man „wie ein Wunder“ blicken, hat Merkel schon erklärt.

Das „Wunder“ brauchte seine Zeit. Erst wollte Israel in den 50er Jahren keine normalen Beziehungen mit dem Land des Holocaust, dann zögerte die Bundesregierung: Bonn hatte sich zwar 1952 zur Wiedergutmachung gegenüber Israel verpflichtet, fürchtete aber, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen werde die arabischen Staaten in die Arme der DDR treiben. Kanzler Konrad Adenauer und der israelische Premier David Ben-Gurion erreichten beim Treffen im Hotel „Waldorf Astoria“ in New York 1960 die entscheidende Annäherung, doch erst Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard wagte den letzten Schritt: Am 12. Mai 1965, heute vor 50 Jahren, wurde der Austausch von Botschaftern offiziell vereinbart.

Es dauerte aber noch Jahre, bis daraus stabile Beziehungen wurden, und sogar zwei Jahrzehnte, bis Richard von Weizsäcker 1985 als erster Bundespräsident nach Israel reiste. Inzwischen gilt Deutschland als wichtigster Verbündeter nach Amerika, regelmäßig treffen sich die Regierungen zu Konsultationen. Kanzlerin Merkel gab den Beziehungen einen neuen Schub, als sie 2008 vor der israelischen Knesset das bisher deutlichste Bekenntnis zur Solidarität mit Israel ab: Die historische Verantwortung für den Holocaust sei Teil der deutschen Staatsräson, so Merkel vor dem Parlament, die Sicherheit Israels sei für sie als Kanzlerin „niemals verhandelbar“. In Israel wird Merkel auch deshalb hoch geschätzt, 70 Prozent der Bürger haben von ­„Ha-Kanzlerit“ einen guten Eindruck.

Dabei ist das Verhältnis beider Länder nicht ungetrübt. Während zwei Drittel der Israelis eine positive Meinung von Deutschland haben, wird Israel vor allem wegen seiner Politik gegenüber den Palästinensern in der deutschen Bevölkerung zunehmend kritisch betrachtet – nur ein Drittel der Bundesbürger sieht laut Umfragen das Land derzeit positiv.

Der Nahost-Konflikt sorgt auch für Spannungen zwischen Merkel und Israels Premier Benjamin Netanjahu; ihr Verhältnis gilt als ausgesprochen kühl. Deutschland befürwortet eine Zweistaaten-Lösung im Nahen Osten, wie die Kanzlerin gestern bekräftigte – Netanjahu lehnt einen Palästinenserstaat ebenso wie Rivlin ab. Auch das geplante Atomabkommen mit dem Iran, von Berlin befürwortet, in Israel kritisiert, ist ein Streitpunkt. Gauck und Merkel reden die Unterschiede nicht klein, sprechen den „Dissens“ sehr offen an. Rivlin spricht ebenfalls von Differenzen, versichert aber wie der Bundespräsident, die freundschaftlichen Beziehungen würden nicht belastet.

Bei allen Meinungsverschiedenheiten weiß Israel, dass auf die Deutschen im Ernstfall Verlass ist. Nicht zuletzt bei Rüstungsgeschäften. In Tel Aviv wurde gestern der Vertrag zum Kauf von vier Korvetten unterzeichnet. Mit den Kriegsschiffen, die von Thyssen Krupp Marine Systems in Kiel gebaut werden, will die israelische Marine Gasfelder im Mittelmeer schützen. Der Kaufpreis liegt bei 450 Millionen Euro, ein Drittel übernimmt Deutschland.

Am Mittwoch wird Präsident Rivlin die Werft in Kiel besuchen und sich über den Bau von U-Booten informieren – das fünfte von sechs U-Booten für Israel wird die Werft demnächst ausliefern. Am ersten Tag seines Staatsbesuchs indes richtete der Präsident seinen Blick in die Vergangenheit. Am Nachmittag besuchte er das Mahnmal Gleis 17 in Berlin-Grunewald: Von dort waren während der Nazi-Herrschaft Zehntausende Juden in Konzentrationslager deportiert worden.