Hamburg . In Hamburg plädiert der Ex-Außenminister für mehr Europa und das TTIP-Abkommen

So haben sich die Zeiten geändert. Als Joschka Fischer am Montagabend im achten Stock des Hotel Steigenberger den Saal betritt, geschieht das fast unmerklich. Beifall oder gar Jubel sind nicht zu vernehmen. Das mag am Publikum liegen: Die ältere Generation ist in der Mehrheit. Altersmäßig ist der frühere Außenminister unter seinesgleichen.

Die Europa-Union, ein überparteilicher Zusammenschluss, hat den früheren Spitzenpolitiker der Grünen zur Diskussion mit Matthias Iken, dem stellvertretenden Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, geladen. Da passt es gut, dass Fischer ein Buch „Scheitert Europa?“ geschrieben hat.

An diesem Frühlingsabend hält der 67-Jährige sich nicht lange mit der Vorrede auf. Sein kurzer historischer Abriss schließt mit der These, dass Deutschland nach seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg in den europäischen Kontinent integriert werden musste, damit sich derartiges Grauen nicht wiederholen würde. Gerade Deutschland verdanke daher dem Europa der vergangenen Jahrzehnte ungemein viel.

Seit der Finanzkrise 2008 wirkten Kräfte in Europa, „die das Erreichte infrage stellen“, sagte Fischer. Es sei die Finanzkrise gewesen, die Europa existenziell getroffen habe. „Wenn die Staaten nicht mit viel öffentlichem Geld eingegriffen hätten, wäre daraus eine mit 1929 vergleichbare Wirtschaftskrise geworden.“

Dass es Europa so schwer getroffen habe, liege an dem Fehlen eines festen politischen Rahmens, sagte der ehemalige Außenminister, der seit dem Ende seiner politischen Karriere im Jahr 2005 als Kommentator, Unternehmensberater und Lobbyist tätig ist. Als Ausweg aus der Krise komme nur eine stärkere Integration infrage. Ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik werde Europa es nicht schaffen, die Finanzkrise zu überwinden. „Wir haben eine gemeinsame Währung, aber wir haben keine gemeinsame Regierung.“

Für Deutschland sei der Integrationsprozess „die entscheidende Frage“. Im wirtschaftlichen Wettstreit mit den aufstrebenden Wirtschaftszentren im pazifischen Raum haben einzelne Länder keine Chance. „Glauben Sie wirklich, dass man unseren Wohlstand aufrechterhalten kann mit dem europäischen Nationalstaat des 18. oder 19. Jahrhunderts?“, fragte Fischer.

In seiner Rede ging Fischer auch auf den NSA-Skandal und die Vorwürfe gegen den Bundesnachrichtendienst ein. Zwar müsse alles aufgeklärt werden, aber angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen, vor denen Europa stehe, führe kein Weg an einer engen Zusammenarbeit der Nachrichtendienste vorbei. „Wir mögen es, die Amerikaner zu kritisieren“, sagte Fischer. „Aber wenn Deutschland sich selbst verteidigen müsste, könnte es das nicht.“ Wenn die Nachrichtendienste nicht zusammenarbeiten würden, „hätten wir entscheidende Sicherheitsdefizite“. Deutschland hänge in hohem Maße von den Sicherheitsgarantien der Amerikaner ab. „Wenn man unserer Regierung etwas vorwerfen kann, dann dass sie das dem Volk gegenüber nicht deutlich genug sagt.“

Auch in Bezug auf das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) fand der ehemalige Politiker deutliche Worte. Gerade für Deutschland sei ein derartiges Abkommen von strategischer Bedeutung. „Wieso ausgerechnet der Exportweltmeister ein Problem mit einem Freihandelsabkommen hat, verstehe ich nicht.“ Für Europa biete TTIP die Chance, bei der Durchsetzung weltweiter Regeln mitreden zu können.

Mit harscher Kritik an der Bundesregierung hielt Fischer sich während seines Auftritt in Hamburg zurück. Hier und da eine Spitze, aber im Großen und Ganzen trat er staatsmännisch auf. Als er gefragt wurde, ob er ebenso wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gezögert hätte, der Türkei Völkermord an den Armeniern vorzuhalten, meinte Fischer: „Ich hätte genauso lange gewartet.“ Die Ermordung von mehr als einer Million Armeniern durch das Osmanische Reich sei unzweifelhaft Völkermord gewesen. Aber die Türkei sei für Europa ein strategischer Verbündeter. Steinmeier habe lediglich versucht, nicht weiteren Konfliktstoff mit der Türkei anzuhäufen. „Das ist Realpolitik.“

Mit Zurückhaltung reagierte Fischer auf die Kritik des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl, der Rot-Grün und Gerhard Schröder und Fischer vorgeworfen hatte, Griechenland zu früh in die Eurozone aufgenommen und selbst die Maastricht-Kriterien verletzt zu haben. Die Regierung Kohl habe einer Aufnahme Griechenlands in die EU zugestimmt, obwohl der Konflikt mit Zypern nicht gelöst gewesen sei. Was den Verstoß gegen den Stabilitätspakt angehe, so habe es Kohl versäumt, die notwendigen Sozialstaatsreformen anzupacken. „Strukturreform und Entschuldung zusammen ging jedoch nicht. Daher musste die Entschuldung warten.“