Wien. Staatsakt in Wien zum 70. Geburtstag rückt die eigene Rolle in der Diktatur ins Licht

Österreich bedauert seinen Umgang mit den Opfern der Nazi-Herrschaft. Die vor 70 Jahren gegründete Zweite Republik habe ihre Pflichten und ihre Verantwortung gegenüber den Verfolgten nicht ausreichend erfüllt, erklärte der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer beim Staatsakt am Montag in Wien.

Das Land hätte den von den Nationalsozialisten vertriebenen und zur Emigration gezwungenen Menschen nach dem Krieg die österreichische Staatsbürgerschaft automatisch zurückgeben oder zumindest anbieten müssen. „Dass dies nicht geschehen ist, war ein großes Unrecht, das vielen sehr wehgetan hat und erst sehr spät – und in vielen Fällen zu spät – erkannt wurde“, sagte Fischer.

Erst spät erkannte Österreich eineMitverantwortung für die Verbrechen an

Zugleich warb er für einen differenzierten Blick auf das Verhalten der Menschen, als 1938 der gebürtige Österreicher Hitler in der Alpenrepublik einmarschierte. Viele Österreicher seien Gegner und auch Opfer des NS-Systems gewesen, „doch ein deprimierend großer Teil waren Sympathisanten, Unterstützer und in etlichen Fällen auch rücksichtslose Täter“, erklärte Fischer in der Hofburg vor Hunderten von Ehrengästen, darunter auch Bundespräsident Joachim Gauck. Wegschauen, Gedankenlosigkeit oder Opportunismus habe es dem Regime erleichtert, seine Ziele zu erreichen.

Am 27. April 1945, nur zwei Wochen nach der Befreiung Wiens durch die Rote Armee, hatte eine neue Regierung unter Karl Renner den Anschluss an Nazi-Deutschland für „null und nichtig“ erklärt. Der Tag war die Geburtsstunde der Zweiten Republik. Jahrzehntelang sah sich Österreich in der Opferrolle und erst in den 1990er Jahren erkannte es eine Mitverantwortung für die Nazi-Verbrechen an.

Gauck mahnte in seiner Festrede, Nationen müssten sich auch dunklen Kapiteln ihrer Geschichte kritisch stellen. „Wenn wir uns offen und unvoreingenommen der Vergangenheit nähern, kann Wissen an die Stelle des Schweigens treten.“ Es gelte, eigene Sichtweisen immer wieder zu überdenken. „Das beste Korrektiv gegenüber einem Denken, das sich primär am Nationalen orientiert, ist die Orientierung an universellen Werten, den Menschenrechten und der Menschenwürde.“