Beirut. Islamistische Rebellen haben in Syrien die Alawiten-Hochburg Dschisr al-Schugur erobert. Die Lage für den Diktator wird immer schwieriger

Als die Rebellen Ende März die Provinzhauptstadt Idlib einnahmen, schrieben Syrien-Beobachter noch, dem Präsidenten Baschar al-Assad stehe eine harte Woche bevor. Nun ist daraus ein harter Monat geworden – mindestens. Denn ob und wann sich das Blatt wieder zugunsten des Diktators wendet, ist im Moment noch nicht abzusehen. Es ist eine der bittersten Phasen für das Regime seit Beginn des Bürgerkriegs vor vier Jahren.

Die lange Liste von Niederlagen dürfte Assad und seinem Hauptverbündeten, dem Iran, große Kopfschmerzen bereiten. Nach dem Fall von Idlib im Norden ging Assad Anfang April der Grenzübergang Nasib verloren, der ins benachbarte Jordanien führt und eine der wenigen Handelsrouten in die Golfregion war, die dem Regime geblieben waren. Noch folgenreicher dürfte aber jetzt die Eroberung von Dschisr al-Schugur durch die Rebellen sein. Die strategisch wichtige Kleinstadt liegt nahe der Küste an der Autobahn, die die Wirtschaftsmetropole Aleppo mit der Hafenstadt Latakia am Mittelmeer verbindet.

Alawiten gelten als Inkarnationder vom wahren Glauben Abgefallenen

Hier am Mittelmeer leben überwiegend Alawiten, Anhänger der schiitischen Glaubensrichtung, der auch Präsident Assad und ein großer Teil der bisherigen Eliten angehören. Dschisr al-Schugur ist ein Tor zum Machtzentrum des syrischen Regimes. Und es sind keine gewöhnlichen Rebellen, die hier gesiegt haben.

An der Grenze zu Assads Machtbasis steht nun ein relativ neues Bündnis radikaler Dschihadisten, das vom syrischen al-Qaida-Ableger Jabhat al-Nusra angeführt wird. Das Bündnis der „Armee der Eroberer“ führt nicht nur einem Kampf um die Macht in Syrien – ihr Kampf ist ein Glaubenskrieg gegen alle Ungläubigen.

Die Alawiten gelten ihnen als Inkarnation der vom wahren Glauben Abgefallenen, für die die Todesstrafe vorgesehen ist. 2013 waren Dschihadisten schon einmal in die Mittelmeerregion vorgedrungen und hatten 13 Dörfer eingenommen. Damals begingen sie Massaker an den alawitischen Einwohnern. Viele wurden entführt und gefoltert. Sollte die „Armee der Eroberer“ tatsächlich weiter in Gebiete der Alawiten vordringen, ist ein Blutbad programmiert.

„Die Einnahme von Dschisr al-Schugur ist noch viel wichtiger als die Eroberung von Idlib“, hieß es vom Medienbüro der Rebellengruppe Ahrar al-Scham. „Das Gebiet des Regimes entlang der Küste ist jetzt in unserer Feuerreichweite.“ Die „Freien Männern Syriens“ haben gemeinsam mit Jabhat al-Nusra die Führungsrolle innerhalb des islamistischen Rebellenbündnisses übernommen. Ahrar al-Scham ist kein offizieller Ableger von al-Qaida in Syrien, wie das die Nusrafront ist, aber deshalb nicht weniger radikal. Bei den „Freien Männern“ gibt es viele Anhänger und altgediente Kämpfer von al-Qaida.

Im syrischen Staatsfernsehen war von einer Niederlage keine Rede. Dort sprach man von einer „Regruppierung der Truppen außerhalb der Stadt, um zivile Opfer zu vermeiden“. Die übliche Staatspropaganda, obwohl die Lage für das syrische Regime sehr ernst ist.

Im Laufe der letzten beiden Jahre war ein immenser militärischer Aufwand betrieben worden, die Lage zu stabilisieren. Der Iran hatte über 50.000 Kämpfer der syrischen Nationalen Verteidigungskräfte ausgebildet und bewaffnet. Die Islamische Republik beorderte zudem Revolutionäre Garden, schiitische Milizen aus dem Irak und Afghanistan sowie die die libanesische Hisbollah nach Syrien. Gemeinsam konnten große Gebiete von den Rebellen zurückerobert werden. Aber nun sind die militärischen Fortschritte durch die neue Rebellenoffensive in Gefahr.

In Damaskus scheint es in der Führungsriege des Regimes bereits zu kriseln. Jedenfalls gibt es Gerüchte über interne Machtkämpfe und einige unerklärliche Ereignisse. So wurde Mohammed Assad, ein Cousin des Präsidenten, ausgerechnet in Qardaha bei einem Streit um Geld und Einfluss erschossen. Qardaha ist die Heimatstadt von Hafez al-Assad, dem Vater des amtierenden Präsidenten. Ein anderer Cousin von al-Assad, Monzer al-Assad, wurde auf direkte Anweisung des Präsidenten wegen „illegaler Aktivitäten“ verhaftet. Und noch ein Cousin, der die mächtige Sicherheitsabteilung in Damaskus leitete, war im letzten September entlassen worden. Hafez Makhlu verließ daraufhin das Land in Richtung Russland.

Große Spekulationen löste auch der Fall von Rustom Ghazale aus. Der ehemalige Chef des syrischen politischen Geheimdienstes war im Februar schwer verprügelt worden. Angeblich soll das bei einem heftigen Streit mit seinem Kollegen Rafik Shehadeh vom militärischen Geheimdienst passiert sein. Grund der Auseinandersetzung soll der wachsende Einfluss des Iran und der libanesischen Hisbollah-Miliz gewesen sein. Nach vier Jahren Bürgerkrieg scheinen die Nerven in der obersten Führungsetage blank zu liegen. Ob noch immer alle an einem Strang ziehen, steht zu bezweifeln. Und sobald der militärische Erfolg ausbleibt, treten Konflikte um so mehr zu Tage. Das Regime steht wieder einmal an einem Scheideweg. Noch ist unklar, ob die syrische Armee die neue Offensive der Rebellen wirklich stoppen kann. Der Iran wird seine militärische Präsenz erneut aufstocken müssen. Sonst droht das Regime doch noch zusammenzubrechen.

Israels Militär hat an Grenze zu Syrien Luftangriff auf Extremisten geflogen

Der Konflikt droht auch noch immer auf Nachbarstaaten überzugreifen. Das israelische Militär hat an der Grenze zu Syrien einen Luftangriff auf mutmaßliche Extremisten geflogen. „Eine Gruppe bewaffneter Terroristen“ habe sich der Grenze mit einem Sprengsatz genähert, der israelischen Truppen gegolten habe, teilte die Armee mit. Die Luftwaffe habe die Männer ins Visier genommen und damit eine Attacke verhindert.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lobte die am Luftangriff beteiligten Truppen. „Jeder Versuch, unseren Soldaten und Zivilisten zu schaden, wird mit einer entschiedenen Reaktion beantwortet wie die Militäraktion heute Abend, die eine Terrorattacke vereitelte“, teilte er mit.