Berlin . Personal- und Richtungsstreit erschüttert die eurokritische Partei

Seit Monaten beharken sich die Mitglieder des Bundesvorstandes der AfD gegenseitig – im kleinen Kreis und gerne auch in der Öffentlichkeit. Hans-Olaf Henkel, der als liberales Aushängeschild der jungen Partei gilt, hat jetzt genug davon. Der 75-Jährige ist mit sofortiger Wirkung als stellvertretender Parteivorsitzender zurückgetreten. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ begründete der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) dies mit Versuchen von „Rechtsideologen“, die Partei zu übernehmen. Außerdem klagt er über „charakterliche Defizite“ von anderen führenden AfD-Politikern.

Henkel warnt in dem „FAZ“-Interview seine Partei vor dem Untergang, falls der Richtungsstreit nicht geklärt werde. „Dann wird die AfD scheitern. Das ist meine feste Überzeugung.“ Bei der Neuwahl des Bundesvorstandes im Juni wird Henkel wahrscheinlich auch nicht wieder antreten. Aber: Europaabgeordneter will er bleiben, und auch einen Parteiaustritt hat er noch nicht ins Auge gefasst. In seinem Rücktrittsschreiben an den Vorstand steht jedenfalls: „Nach Hamburg gilt es jetzt, auch in Bremen zu zeigen, dass die AfD in ihrem Vormarsch nicht zu stoppen ist.“

Um den Landesvorsitzenden inNordrhein-Westfalen gibt es auch Streit

Auf die Frage, ob er die Alternative für Deutschland schon aufgegeben habe, antwortet Henkel: „Nein, nur drei Kollegen aus dem Bundesvorstand.“ Die Namen nennt er nicht. Doch ist klar, wen er meint: den Vorsitzenden der Parteistiftung, Konrad Adam, die sächsische Landesvorsitzende Frauke Petry und den Vorsitzenden der AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg, Alexander Gauland. Sie alle stehen für den rechtsnationalen Flügel der Partei.

Petry und Gauland wollen die AfD explizit als Partei der kleinen Leute positionieren. Henkel gehört dagegen eher dem Flügel des Parteivorsitzenden Bernd Lucke an, der die Klientel der AfD eher im bürgerlichen Akademiker-Milieu sieht. Dass Henkel Bestrebungen des rechten Flügels für eine Übernahme der Partei beobachtet haben will, findet Gauland absurd. Er erklärt: „Im Bundesvorstand hat meistens Lucke die Mehrheit, da von einer Übernahme durch ,Rechtsideologen‘ zu sprechen, ist Unsinn.“

Mit dem Vorsitzenden der AfD in Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell, verbindet Henkel inzwischen eine Art Intimfeindschaft. Henkel hat sich für Sanktionen gegen Pretzell ausgesprochen, nachdem das Finanzamt Konten des nordrhein-westfälischen AfD-Landesverbandes vorübergehend gesperrt hatte. Pretzell, der wie Lucke und Henkel zur AfD-Fraktion im Europaparlament gehört, hat Henkel seinerseits vorgeworfen, der lasse sich so gut wie nie in Brüssel blicken, sondern sei ständig im Urlaub.

Nicht nur Lucke bedauert den Rückzug von Henkel. Auch für den Vorsitzenden der AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Jörn Kruse, ist das „eine sehr schlechte Nachricht“. Denn in Henkels Heimatstadt Hamburg hat die AfD sehr vom Renommee des ehemaligen Industriepräsidenten profitiert.

Dass es in der täglichen Parteiarbeit mit Henkel menschlich nicht immer leicht war, finden allerdings auch AfD-Mitglieder, die keine ideologischen Differenzen mit ihm haben. „Er denkt halt wie ein Manager, der einen Kurs vorgibt und dann erwartet, dass alle anderen folgen. Mit Kompromissen und Mehrheiten tut er sich schwer“, sagt ein Parteifreund.

In der Union hofft man darauf, dass sich die Partei in Flügelkämpfen zerlegt

Henkel, Lucke und andere AfD-Politiker, die verhindern wollen, dass die Partei weiter nach rechts rückt, hoffen jetzt auf die Mitgliederbefragung. Die rund 21.000 Mitglieder der AfD sollen in den nächsten Tagen online zu ihren Ansichten zu wichtigen Themen befragt werden. Diese Befragung gilt als inoffizielle Vorbereitung für die Wahl des neuen Bundesvorstandes beim Parteitag im Juni. Zwei Tage lang wollen die AfDler vom 13. Juni an in Kassel debattieren. Die Tagesordnung steht noch nicht fest. Doch aus der Partei heißt es nur halb im Scherz: „Ach, wenn uns nichts anderes einfällt, dann streiten wir uns halt wieder.“

Vor allem in der Union, wo man die Konkurrenz von rechts mit Unmut beobachtet, hofft man darauf, dass sich die AfD mit ihren Flügelkämpfen selbst zerlegt. Die Partei liegt in den Umfragen derzeit bei bundesweit etwa sechs Prozent.