Berlin. Verfassungsrechtler Kerber droht der Zentralbank mit Klage. Institute im Krisenland verlieren Monat für Monat Milliarden Euro

Markus Kerber überließ nichts dem Zufall. Der Berliner Rechtsanwalt und Finanzprofessor schickte eigens einen Gerichtsvollzieher los, um seinen Brief bei der Europäischen Zentralbank (EZB) abzugeben. Er wollte sichergehen, dass das sechsseitige Schreiben samt diverser Anlagen tatsächlich in Frankfurt einging – und er will das auch beweisen können. Denn die Sendung von Anfang April hat es in sich. Sie setzt die Notenbank bei ihrer ohnehin schon umstrittenen Griechenland-Politik weiter unter Druck.

Es geht um die Tatsache, wie die EZB mit den Banken des Krisenlandes umgeht. Bisher lässt sie die griechische Notenbank gewähren, die den Instituten immer mehr Notfallkredite gewährt. Der Jurist und ehemalige Bankkaufmann hält das für rechtswidrig, weil die diversen betroffenen Häuser aus seiner Sicht längst nicht mehr solvent sein dürften. Deshalb müsse die Bankenaufsicht der EZB, die für die größten Banken Griechenlands zuständig ist, einschreiten. In seinem Schreiben an die Bankenaufsichts-Chefin Danièle Nouy verlangt Kerber Auskunft darüber, welche Maßnahmen die EZB bislang bei den griechischen Kreditinstituten ergriffen hat – und droht mit einer Untätigkeitsklage, falls die Frankfurter Aufseher einfach nur zuschauen sollten. Unabhängig von den juristischen Detailfragen gießt Kerber damit Öl ins Feuer, denn der Umgang mit den griechischen Banken ist höchst kontrovers. Seit Monaten ziehen Kunden Milliarde um Milliarde von griechischen Konten ab, so dass die Institute immer stärker von Zentralbank-Mitteln abhängig werden. Für die EZB ist die Lage kniffliger als bei früheren Eskalationen der Griechenland-Krise. Denn seit November ist die europäische Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB auch für die vier größten Hellas-Banken zuständig. Das macht den Umgang mit den Notfallkrediten, deren Rahmen sich inzwischen auf 74 Milliarden Euro beläuft, besonders delikat.

Wirklich schmerzliche Schritte gegen griechische Banken bleiben bisher aus

Die Geldpolitiker im EZB-Rat wiederum erhöhen die Obergrenze für Notkredite der griechischen Zentralbank nur Woche für Woche in Trippelschritten, was die Banken stets im Ungewissen lässt, wie lange sie sich noch bei der Notenbank finanzieren können. Regierungschef Alexis Tsipras bringt das so in Rage, dass er sich in einem Brief an die deutsche Kanzlerin darüber beschwerte – ganz so, als erwarte er von Angela Merkel, die unabhängige EZB zur Ordnung zu rufen.

Bisher belässt es die Zentralbank bei solchen Nadelstichen. Wirklich schmerzliche Schritte gegen griechische Banken bleiben aus. Kerber hat deshalb schon EZB-Chefvolkswirt und Direktoriumsmitglied Peter Praet mit der Frage konfrontiert, warum die griechischen Banken weiterhin Mittel von der Zentralbank erhalten. Die Krux: Diese Notkredite unterliegen zwar laxeren Kriterien als die üblichen Finanzierungsmittel, die sich Banken bei der EZB leihen können. Unumstößlich ist aber die Bedingung, dass keine Banken finanziert werden dürfen, die faktisch insolvent sind, also der Pleite geweiht. Über die Solvenz wacht wiederum die Aufsicht – also Nouys Behörde.

Bislang betonten sowohl Nouy als auch EZB-Präsident Mario Draghi, dass die betroffenen griechischen Banken sehr wohl solvent seien. Diese Einschätzung sei „mit rationalen Maßstäben kaum noch nachvollziehbar“, argumentiert Kerber in seinem Schreiben und führt mehrere Indizien an, die gegen eine Solvenz der Banken sprächen. So sei es schwierig, am Markt noch Kreditausfallversicherungen für die vier großen griechischen Banken zu bekommen. Außerdem bestehe das Eigenkapital der Institute zu einem erheblichen Teil aus Steuerforderungen gegen die klamme griechische Regierung – und diese Forderungen erfüllten auch nicht die formalen Voraussetzungen, um als Eigenkapital anerkannt zu werden, so Kerber. Er sieht die Gefahr, dass die vier Institute zu „Zombiebanken“ werden, die weder genug Eigenkapital noch flüssige Finanzmittel haben, „um im Kreditgewerbe zu bleiben“.

Die Aufsicht sei nach EU-Richtlinien verpflichtet, die Lage der Banken zu untersuchen, auch mit Blick auf das Eigenkapital und die Verschuldungsquote. Tue die Behörde das nicht, würde dies „schwere Amtspflichtverletzungen nach sich ziehen“. Der Jurist fragt deshalb, ob Nouy die Banken aufgefordert habe, ihre Solvenz nachzuweisen oder ihre Geschäftspolitik zu ändern. Angesichts der Zweifel an der Solvenz der griechischen Banken vertrete er die Auffassung, „dass es die Verpflichtung Ihres Gremiums wäre, dem EZB-Rat ohne jede Verzögerung die Notwendigkeit der Abwicklung der oben genannten Banken vorzuschlagen“, schreibt Kerber weiter. Ansonsten setze sich Nouy dem Vorwurf aus, ihren Pflichten nicht nachzukommen. „Eine Untätigkeitsklage ... gegen die EZB wäre die unmittelbare Folge.“

Die EZB wollte sich zu der drohenden Klage nicht äußern und verwies darauf, dass ihre Maßnahmen hinsichtlich konkreter Banken vertraulich seien. Die griechischen Banken erfüllten jedoch die Mindestkapitalanforderungen. Die EZB beobachte die Situation und sei in engem Kontakt mit der griechischen Zentralbank und dem gesamten Bankensektor.

Euro-System der Notenbanken ist selbst der größte Gläubiger

Kerber hält die Bankenaufsicht durch die EZB grundsätzlich für problematisch. Vergangenen Sommer hat er zusammen mit anderen Wissenschaftlern in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen die neu geschaffene Konstruktion eingereicht. Aus ihrer Sicht ist es nicht mit den EU-Verträgen vereinbar, dass die Notenbank als geldpolitische Institution nun auch Banken beaufsichtigt. Es sei offensichtlich, dass die EZB als Bankenaufsicht ein Interesse daran habe, die Schieflage einzelner Institute zu vertuschen. „Um diesem Szenario zu entgehen, werden geldpolitisch getarnte Instrumente eingesetzt“, die aber mit den EU-Verträgen unvereinbar seien. Gleichzeitig ist das Euro-System der Notenbanken selbst der größte Gläubiger der griechischen Banken, wäre also von aufsichtsrechtlichen Maßnahmen gegen diese Häuser stark betroffen. Dies alles „beweist einmal mehr, dass die Aufgaben von Geldpolitik und Bankaufsicht nicht in die Hand einer supranationalen Zentralbank gelegt werden können“.