New York/Brüssel. Bei den Geldgebern herrscht nach wochenlangen Verhandlungen Ratlosigkeit. Der Ernstfall wird längst vorbereitet

FrankSiebelt
Tom Körkemeier

Der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis hat sich erneut für den Verbleib seines hoch verschuldeten Landes in der Eurozone ausgesprochen. Gedankenspiele über einen möglichen „Grexit“ seien „zutiefst anti-europäisch“, sagt Varoufakis in Washington am Rande der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Nachdem IWF-Chefin Christine Lagarde einen Aufschub für Griechenland bei der Schuldenrückzahlung abgelehnt hatte, fordert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erneut verbindliche Reformzusagen von Athen.

Das Zwischenfazit im monatelangem Reformstreit Griechenlands mit der Euro-Zone ist ernüchternd: Noch nie stand das Land so nahe am Bankrott. Und hinter den Kulissen laufen längst Überlegungen, wie sich der Ernstfall einigermaßen managen ließe. Für die Griechen hätte ein Staatsbankrott verheerende Folgen, für die Euro-Zone wären die kurzfristigen Auswirkungen wohl begrenzt. Auf lange Sicht droht aber auch ihr ein enormer politischer und ökonomischer Schaden.

Bereits im März räumte EZB-Präsident Mario Draghi vor einem Ausschuss des EU-Parlaments ein, dass die Risikoanalysten der Europäischen Zentralbank die verschiedensten Szenarien durchspielten. Nicht anders ist es bei den Fachleuten im Bundesfinanzministerium. Man will vorbereitet sein für den Ernstfall, dass den Griechen tatsächlich das Geld ausgeht und sie ihre Staatsschulden nicht mehr bedienen können.

Wie konnte es dazu kommen? Beobachtern kommt die griechische Tragödie mitunter eher wie eine absurde Komödie vor: So sagte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras am Donnerstag, er erwarte eine Lösung des Schuldenstreits bis Ende April. Es habe bemerkenswerte Fortschritte gegeben. Rund 24 Stunden zuvor war aus Schäuble bei einer Rede in New York herausgeplatzt: „Niemand hat eine Idee, wie wir uns über ein ambitionierteres Programm einigen sollten.“ Niemand erwarte eine Einigung beim Euro-Finanzministertreffen nächste Woche in Riga. Viel weiter kann man kaum auseinander liegen.

Wann die griechischen Kassen leer sind, weiß bisher niemand genau

Grund dafür ist nicht allein der politische Poker um die künftigen Reformauflagen für weitere Milliardenhilfen. Nach den zahllosen Gesprächsrunden beklagen etliche Verhandlungspartner der Griechen, die neue Regierung in Athen agiere dilettantisch. So sei nicht klar, wer dort überhaupt etwas zu entscheiden habe.

Ratlosigkeit macht sich breit. Bestes Beispiel dafür ist EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. In der EU-Kommission machte er am Mittwoch deutlich, dass seine Geduld sehr strapaziert sei, weil es wieder tagelang keine Fortschritte gegeben habe. Juncker steht mit seinem Frust nicht alleine. Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis nannte die Verhandlungen „sehr kompliziert“, während zugleich die Zeit ablaufe. IWF-Chefin Lagarde appellierte erneut, das Tempo der Verhandlungen anzuziehen. Ihr Ratschlag an die Griechen lautet: „Kommt mit der Arbeit voran.“

Denn inzwischen zerrinnt den Griechen die Zeit – und damit das Geld – zwischen den Fingern. Wann die Kassen leer sind, weiß niemand genau – die Regierung lässt die Vertreter der Gläubiger-Institutionen EU-Kommission, EZB und IWF (Troika) noch immer nicht in die Bücher schauen. Der Chef des Euro-Rettungsschirms ESM, Klaus Regling, warnte aber kürzlich, der Liquiditätspuffer der Griechen sei mittlerweile eindeutig „sehr, sehr klein“. Fest steht, dass sie alleine an die EZB im Juli und August über 6,7 Milliarden Euro zahlen müssen. Hinzu kommen Rückzahlungen von insgesamt gut acht Milliarden Euro an den IWF in diesem Jahr und Leistungen an private Gläubiger. Für das Land, das seit 2010 vom Kapitalmarkt abgeschnitten ist und bereits mit 240 Milliarden Euro gestützt wird, ist das alleine nicht zu stemmen. Weil das zweite Hilfspaket Ende Juni ausläuft, ist außerdem unklar, wie es danach weitergehen soll.

Noch wurschtelt sich die Regierung durch, etwa durch Griffe in die Sozialkassen. Doch sollte das Geld ausgehen, bevor eine Einigung mit den Geldgebern erreicht ist, droht ein düsteres Szenario: Die Ratingagenturen würden die griechischen Staatspapiere auf den Status „default“ (Verzug) setzen. Damit wären sie wertlos. In der Folge würden die Bilanzen der griechischen Banken kollabieren. Weil sie nicht mehr liquide wären und auch keine Sicherheiten mehr hinterlegen könnten, könnten sie sich auch bei der griechischen Notenbank keine Nothilfen mehr besorgen, die bisher vom EZB-Rat genehmigt werden. Am Ende „käme schlicht kein Geld mehr aus dem Bankautomaten“, brachte es der Chef des Rates der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, auf den Punkt. Griechenland drohe die „humanitäre Katastrophe“.

Damit die Banken nicht gestürmt und die restlichen Euro ins Ausland gebracht würden, müsste die griechische Regierung Kapitalverkehrskontrollen erlassen und etwa Obergrenzen für Überweisungen anordnen. Um den Geld- und Wirtschaftskreislauf in Gang zu halten, könnte sie außerdem gezwungen sein, Schuldscheine auszugeben, mit denen Unternehmen und Privatleute untereinander Rechnungen begleichen könnten. Das wäre dann faktisch eine zweite Währung und der erste Schritt aus dem Euro. „Griechenland würde ein paar Quartale lang durch eine ökonomische Chaos-Phase gehen, das ist aus meiner Sicht unvermeidbar“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Was genau heißt das? „Griechenland würde verarmen“, warnt er.

Mit einem Ausstieg aus dem Euro wäre das griechische Problem nicht gelöst

Jeder Versuch, die Folgen eines Zahlungsausfalls zu begrenzen, müsste bei den griechischen Banken ansetzen, sagen die Ökonomen. Dreh- und Angelpunkt wäre dabei die EZB, die die Geldschleusen irgendwie offen halten müsste. Außerdem bräuchten die Geldinstitute frisches Kapital, um zahlungsfähig zu bleiben. Aber woher sollte dieses kommen? Die griechische Regierung wäre pleite – und die Euro-Partner zahlen nur gegen Reformauflagen.

Mit einem „Grexit“ wäre das griechische Problem auch nicht gelöst. Wie würde sich das Land in Zukunft finanzieren? Denkbar wäre zunächst eine Umschuldung über den „Pariser Club“ – ein informelles Gremium, in dem staatliche Gläubiger zu Verhandlungen über Schuldenerlasse zusammenkommen. Eine Schlüsselrolle dabei hätte allerdings der IWF, denn Hilfe wird auch im Pariser Club nur gewährt, wenn IWF-Programme umgesetzt werden. Das aber bedeutet Reformen – Griechenland wäre also keinen Schritt weiter als heute, aber um einiges ärmer.