Washington. Weißer Beamter schoss einem Schwarzen acht Mal in den Rücken. Ein Amateurvideo hat den Vorgang festgehalten

Clemens Wergin

Wieder ein unbewaffnetes schwarzes Opfer. Wieder ein weißer Polizist. Die Serie übertriebener und anscheinend rassistisch motivierter Polizeigewalt in den USA scheint nicht abreißen zu wollen. Ein neuer Fall aus North Charleston, einer knapp 100.000 Einwohner zählenden Stadt im US-Bundesstaat South Carolina, sorgt jetzt erneut für Schlagzeilen.

Dort hatte am vergangenen Sonnabend Michael Slager, ein weißer Streifenpolizist, den schwarzen Walter Lamer Scott nach einer Verkehrskontrolle erschossen. Insgesamt acht Kugeln feuerte der 33-Jährige auf sein Opfer ab. Fünfmal soll er den 50-Jährigen laut Gerichtsmedizin getroffen haben, einmal davon ins Herz. Der vierfache Familienvater starb noch am Tatort. Am Ende war Scott ein kaputtes Bremslicht an dessen Mercedes, für das er von der Polizei gestoppt wurde, zum Verhängnis geworden.

Der neue Fall erinnert an die Tragödie in Ferguson, Missouri, wo ebenfalls ein weißer Polizist im vergangenen August den schwarzen, unbewaffneten Michael Brown erschossen hatte und nach einer Entscheidung einer Grand Jury nicht angeklagt wurde, weil er sich angeblich bedroht gefühlt habe. Der Tod des 18-Jährigen hatte wochenlang für Demonstrationen und Unruhen gesorgt.

Auch in North Charleston hatte Polizeioffizier Slager angegeben, sich bedroht gefühlt zu haben. Aber anders als in Ferguson waren die Ermittlungsbehörden diesmal nicht allein auf widersprüchliche Zeugenaussagen zur Rekonstruktion des Tathergangs angewiesen. Denn drei Tage nach den tödlichen Schüssen ist ein Video eines bisher anonymen Zeugen aufgetaucht. Ein wichtiges Beweismittel, das den Polizisten lebenslang ins Gefängnis bringen könnte. Der 33-Jährige wurde am Dienstagabend verhaftet und wegen Mordes angeklagt.

Die Staatsanwaltschaft stützt sich dabei ganz auf den etwa drei Minuten langen Film. Dieser zeigt, dass die Version des Polizisten zu dem Fall nicht stimmt. Slager hatte behauptet, Scott habe nach einem Gerangel nach seinem Elektroschockgerät, einem sogenannten Taser, gegriffen. Deshalb habe er geschossen. „Mein Mandant hat sich bedroht gefühlt“, sagte sein Anwalt David Aylor kurz nach der Anklageerhebung. Aylor hat mittlerweile sein Mandat für Scott ohne Angabe von Gründen niedergelegt.

Das Video, das mit einem Handy gemacht und der Lokalzeitung „Post and Courier“ zugespielt wurde, kann die Aussage des Polizisten von einer bedrohlichen Situation nicht bestätigen. Der wackelige Clip zeigt, dass der unbewaffnete Scott flüchtete, als Slager ihn aus kurzer Entfernung von hinten erschoss. Nachdem er kurz hintereinander achtmal auf den flüchtenden Scott gefeuert hatte, legte er seinem leblos auf dem Bauch liegendem Opfer noch Handschellen an. „Hände auf den Rücken“, schreit er. Doch Scott bewegt sich schon nicht mehr. Slager denkt offenbar auch nicht daran, den Notarzt zu alarmieren. Er geht stattdessen an die Stelle zurück, wo die Auseinandersetzung begonnen hatte, hebt etwas auf und legt es neben die Leiche. Die Behörden glauben, es ist der Taser. Wollte er die Tat vertuschen? Erst dann taucht ein zweiter, schwarzer Polizist am Tatort auf. Er hebt das türkisfarbene T-Shirt von Scott an und überprüft die Wunden. Es ist nicht erkennbar, dass die Beamten, wie von der Polizei zunächst behauptet, lebensrettende Maßnahmen eingeleitet hätten.

„Wenn man falsch liegt, liegt man falsch“, sagte der Bürgermeister von North Charleston, Keith Summey in einer eilends einberufenen Pressekonferenz. „Wenn du eine schlechte Entscheidung fällst, musst du auch mit dieser Entscheidung leben.“ Polizeichef Eddie Driggers bezeichnete die Tat auf CNN als „tragisch“. Auf die Frage, ob sie einen rassistischen Hintergrund habe, erklärte er: „Ich kann das nicht ausschließen.“ Summey zeigte sich gegenüber dem „Post and Courier“ erleichtert, dass es ein Video zu den Geschehnissen gebe. „Ich möchte nicht darüber spekulieren, wie der Fall ohne diese Aufnahmen ausgegangen wäre.“ Es wäre mit Sicherheit aber schwerer gewesen, den genauen Tathergang zu rekonstruieren. Pastor Nelson Rivers aus North Charleston, ein Mitglied der Gruppe um den schwarzen Bürgerrechtler Al Sharpton, nannte den Zeugen gar „einen Helden“. „Ohne dieses Video wäre es eine völlig andere Geschichte, und wir würden nur die Aussage des Polizisten kennen.“