Montabaur/Essen. Wer war Andreas L.? Staatsanwaltschaft durchsucht Elternhaus des 27-Jährigen

Am Mittwoch war Andreas L. noch ein Todesopfer wie alle anderen 149 auch. Ein Mann mitten aus der Gesellschaft, brutal aus dem Leben gerissen. Der Fliegerverein LSC Westerwald, bei dem der junge Mann aus Montabaur einst das Segelfliegen lernte, hatte eine Traueranzeige für ihn im Netz geschaltet. „Er konnte sich seinen Traum erfüllen, den Traum, den er jetzt so teuer mit seinem Leben bezahlte“, heißt es darin. „Sein großer Traum war es seit jeher, Pilot zu werden“, verriet eine erschütterte Nachbarin der „Rheinzeitung“.

Doch aus dem Opfer Andreas L. ist der Täter Andreas L. geworden. Wer war dieser 27-Jährige, der als Co-Pilot der Germanwings-Maschine nach offizieller Einschätzung 149 Menschen mit in den Tod gerissen hat? Seine Facebookseite ist „nicht mehr verfügbar“.

Es scheint wie immer, wenn Erklärungen für eine monströse Tat gesucht werden. Dieselben Einschätzungen, dieselben Formulierungen. Er war ein „zurückhaltender, netter Kerl“, „ein freundlicher junger Mann“, ist überall im Netz zu lesen, wo Nachbarn oder Bekannte sich über ihn äußern. Und nein, das hätte man ihm natürlich nie zugetraut. „Ich weigere mich zu glauben, dass er das absichtlich gemacht hat“, wird ein 23 Jahre alter Nachbar zitiert, der aber auch einräumen muss, dass er ihn so gut gar nicht gekannt habe. Er könne sich nur nicht vorstellen, „dass jemand so egoistisch ist“.

Auch Klaus Radke, bei dem An­dreas L. im vergangenen Herbst zur Verlängerung seiner Segelfluglizenz in die Luft gegangen sei, sagt nichts Gegenteiliges. „Ich habe ihn als sehr netten, lustigen, höflichen Menschen kennengelernt.“ Er hebt hervor, wie viel gerade auf die Familie einstürze, deren Haus gestern von der Polizei durchsucht wurde. Radke mahnt zur Zurückhaltung. Es werde einige Zeit in Anspruch nehmen, bis man wisse, was genau passiert ist. „Man sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen.“ Andreas L. lebte bei seinen Eltern in Montabaur im Westerwald und hatte einen Wohnsitz in Düsseldorf-Unterbach angemeldet, um schneller am Flughafen zu sein. Für Germanwings arbeitete er seit September 2013. Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagte, der Co-Pilot habe 630 Flugstunden absolviert. An der Verkehrsfliegerschule der Lufthansa, der Muttergesellschaft von Germanwings, in Bremen sei er zum Piloten ausgebildet worden.

Um Co-Pilot bei Germanwings werden zu können, hat er umfangreiche psychologische Tests durchlaufen. Einzige Auffälligkeit bisher: Er hat seine Ausbildung einmal unterbrochen. Warum, das könne er nicht sagen, ob es medizinische Gründe waren, wisse er selbst nicht, weil das dem Datenschutz unterliege, sagte Spohr. Er habe während seiner Ausbildung alle medizinischen und fliegerischen Checks bestanden. „Wir haben volles Vertrauen in unsere Piloten. Sie sind und bleiben die Besten der Welt. Für mich ist das, was hier passiert ist, ein ganz tragischer Einzelfall. Es gibt ein viele Jahrzehnte erprobtes Auswahlverfahren, dem auch eine psychologische Auswahl obliegt. Trotz dieses fürchterlichen Einzelfalles haben ich und meine Kollegen im Vorstand und bei der Germanwings festes Vertrauen in dieses seit Jahren erprobte Verfahren.“ Bevor L. als Pilot ins Cockpit wechseln konnte, musste er zunächst als Flugbegleiter die Passagiere versorgen. Elf Monate dauerte diese Wartezeit, die Spohr jedoch als „nicht unüblich“ bezeichnete. „Er war 100 Prozent flugtauglich ohne jede Auffälligkeit“, beteuerte Spohr. Die Mutter einer früheren Klassenkameradin scheint mehr zu wissen. Sie erzählte der FAZ, dass L. sich ihrer Tochter vor einigen Jahren anvertraut habe mit dem Hinweis, er habe in seiner Ausbildung eine Auszeit genommen: „Offenbar hatte er ein Burn-out, eine Depression.“ Die Tochter habe ihn zuletzt vor Weihnachten gesehen, da habe er allerdings wieder ganz normal gewirkt.

Hier steht das Haus der Eltern des Co-Piloten, der die Germanwings-Maschine am Dienstag offensichtlich absichtlich über den französischen Alpen zum Absturz gebracht haben soll. Schon kurz nach den Aussagen der Staatsanwaltschaft in Frankreich postieren sich hier Kamerateams aus vielen Ländern. Flankiert werden sie von zahlreichen Polizisten und Streifenwagen, die auf der Straße vor dem Haus der Familie quergestellt wurden.

Fassungslos ist ein Ehepaar, das neben der Familie lebt – und das seit 22 Jahren. „Es ist extrem für uns, mir bleibt die Spucke weg“, sagt der Mann über das, was er in den Nachrichten gehört hat. Auch sie kennen den Co-Piloten kaum, erzählen nur von einem jüngeren Bruder und dass der Co-Pilot hier aufgewachsen sei. „Wir sind schon schockiert“, sagt die Frau. „Ich kann mir das alles kaum vorstellen.“

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat Durchsuchungen im unmittelbaren Umfeld des Co-Piloten vorgenommen. „Sowohl die Wohnung des Co-Piloten in Düsseldorf als auch die Wohnung in Montabaur sind durchsucht worden“, sagte Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück. Wie die Behörde erklärte, dienen die Durchsuchungen dem Auffinden persönlicher Unterlagen, „um Anhaltspunkte für einen denkbaren Tathintergrund zu gewinnen“ Die Auswertung möglicher Beweismittel werde „einige Zeit in Anspruch nehmen“. Zu Gerüchten, dass ein Abschiedsbrief gefunden wurde, sagte Herrenbrück: „Das kann ich nicht bestätigen. Darüber hinaus gibt es heute nichts. Die Durchsuchungen laufen noch.“