Erfurt.

Selbst wenn es ernst wird, setzt Bodo Ramelow schon mal eine rote Clownsnase auf. Gleich werden Karnevalisten die Staatskanzlei stürmen und Ramelow ist optisch vorbereitet, aber zunächst muss der Regierungschef noch schnell über „Ewigkeitskosten“ des einstigen Kali-Bergbaus referieren. Dass der Freistaat hier am Ende auf den Milliarden sitzen bleibt und andere Beteiligte wie der Bund sich aus der Verantwortung stehlen, will er unbedingt verhindern. Die Szenerie mit der roten Pappnase beschreibt treffend, wie der immer noch teilweise argwöhnisch beäugte linke Ministerpräsident in den ersten knapp 100 Tagen seiner Amtszeit Politik macht. Ramelows Truppe hat, vom Winterabschiebestopp einmal abgesehen, wenig Konkretes vorzuweisen, lässt sich derzeit aber von nichts die gute Laune verderben.

Noch immer ist nach einem knappen Vierteljahrhundert CDU-Regierung eine gewisse Aufbruchstimmung spürbar. Auch wenn in Wahrheit Rot-Rot-Grün zurzeit vor sich hin dümpelt: Gerade mal das Bildungsfreistellungsgesetz ist vom Kabinett abgesegnet worden. Um die unter Linken weiter umstrittene Aufarbeitung von DDR-Unrecht kümmert sich eine interministerielle Arbeitsgruppe. Das gebührenfreie Kita-Jahr, das zum Wahlkampfhit avancierte, ist längst auf 2017 verschoben worden. R2G (die inzwischen populäre Abkürzung für Rot-Rot-Grün) neigt nicht zu übertriebener Eile.

Ausgerechnet das Herzstück des Regierungshandelns lässt ebenfalls weiter auf sich warten: der Haushalt. Bereits beim Beschließen der Eckpunkte des Finanzplans pochten einige Minister auf höhere Budgets. Schließlich gilt es, Wahlversprechen zu finanzieren, und beim Geld hört eben auch die Koalitionsfreundschaft auf. Deshalb rückt der Termin des 9,1-Milliarden-Euro-Pakets immer weiter nach hinten. Der Etat könnte nun im Juni den Landtag passieren. Bislang hält sich das Grummeln von Unternehmen und Kammern über den dadurch verursachten Investitionsstau in Grenzen. Aber auch die Geduld der Mittelständler ist endlich. Die Kommunen fühlen sich bereits jetzt an der Nase herumgeführt. Das vollmundige Versprechen, Städte, Gemeinden und Landkreise finanziell besserzustellen, entpuppt sich beim Nachrechnen als Luftnummer.

Ramelow ficht das nicht an. Der einstige Gewerkschafter und langjährige Oppositionspolitiker ist mit dem Einzug ins Eckzimmer in der Erfurter Regierungsstraße endlich am Ziel und will politische Akzente setzen. Er weiß, dass eine fünfjährige Legislaturperiode kein Sprint ist und hat sich auf einen Marathon eingestellt. Dass er indes, kaum im Amt, gleich Kraft tanken muss, ist in der Heimat schwer vermittelbar. Mit Ehefrau Germana Alberti vom Hofe, Jack Russell Attila und Freunden zieht er in der Adventszeit ein paar Tage das süße Leben in Venedig dem tristen Regierungsalltag vor und schwänzt seine erste Bundesratssitzung.

Auch die mediale Vermarktung des ersten linken Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes bringt mehr Spott als Pluspunkte: Ramelow darf beim privaten Regionalsender Salve TV unbehelligt durch Journalistenfragen zum Wahlvolk sprechen. Sogar der Koalitionspartner echauffiert sich und geißelt den Auftritt als „Staatsfernsehen“. Selbst mit Moderation wird das vermeintliche Politikformat nicht besser, sondern ein Fall für die satirische Heute-Show: „Heute früh musste ich intensiv an Sie denken, als ich ein Rührei gemacht habe“, offenbart die Moderatorin dem verblüfften Ministerpräsidenten. Als sie ein besonders großes Ei „mutig aufgeschlagen“ habe, sei darin „die Doppelpower“ gewesen – zwei Eidotter. „Da dachte ich, das ist ein bisschen wie Bodo Ramelow.“

Ungeachtet solcher PR-Unfälle macht der Linke, was er am besten kann: sein Ding. Als er sich zu Jahresbeginn offen für die Rente mit 70 zeigt, ist die Spitze der Partei sauer. Der Pragmatiker Ramelow schlägt sich auf die Seite des Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, der angesichts des Fachkräftebedarfs zusätzliche Anreize fordert.

Wenige Wochen später gibt Ramelow ein Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft des einstigen CDU-Kanzlers Ludwig Erhard ab, erntet damit Zuspruch beim Arbeitgeberverband, aber liegt mit den eigenen Genossen erneut über Kreuz. Ein Schreckgespenst für Firmenbosse war Ramelow ohnehin nie. Als Ministerpräsident erst recht nicht. Inzwischen haben Industrie- und Handelskammer und Landesregierung sogar ein gemeinsames Pilotprojekt zur Flüchtlingsausbildung gestartet. Durch gezielte Betreuung sollen Asylbewerber künftig besser im Arbeitsmarkt integriert werden.

Innerhalb der CDU macht man sich inzwischen Sorgen, weil Ramelow schwerer zu attackieren ist, als gedacht. Dem neuen Oppositionsführer, Unionsfraktionschef Mike Mohring, bleibt nichts anderes übrig, als den ungewohnten Stil als „CDU-Politik mit roter Schleife“ zu kritisieren. Er sucht und braucht Ramelow aber auch als Verbündeten. Um die lange diskutierte Reform der Abgeordnetendiäten auf ein breites parlamentarisches Fundament zu stellen, ist Mohring mit den anderen Fraktionschefs in der Staatskanzlei und darf sich anschließend der Unterstützung des Ministerpräsidenten sicher sein.

Wer gehofft hat, dass ein linker Regierungschef im Länderreigen schnell im Abseits steht, sieht sich ebenfalls getäuscht. Thüringen ist bei Treffen vor Ministerpräsidentenkonferenzen jetzt Teil der Runde SPD-geführter Länder. Die SPD-Ministerpräsidenten hatten den Freistaat nicht sofort nach Antritt der rot-rot-grünen Regierung in ihren Kreis aufgenommen. „Ich habe mich unter den Ministerpräsidenten aber von Beginn an gut behandelt gefühlt“, sagt Ramelow. Es gebe eine freundliche Offenheit und kooperative Neugier gegenüber der ersten Landesregierung in dieser Dreierkonstellation. Das gelte auch für die CSU- und CDU-Regierungschefs von Thüringens Nachbarländern Bayern, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. „Thüringen ist nicht isoliert.“ Auch davon, dass sich die drei Bündnispartner überwiegend in den Haaren liegen, kann zumindest in den ersten drei Monaten nicht die Rede sein. Der einst als aufbrausender Wüterich verschriene Ramelow gefällt sich als moderierender Ministerpräsident.

Vieles deutet darauf hin, dass der Linke sich länger in der einstigen Kurmainzischen Statthalterei einrichten will. Ob der gebürtige Osterholz-Scharmbecker am Ende der Legislaturperiode aber wirklich zum Landesvater gereift ist? Oder Rot-Rot-Grün an der schwierigen Gemengelage aus hoch gesteckten Zielen und 16-Milliarden-Euro-Schuldenberg scheitert? Jetzt eine Antwort darauf zu geben, käme einem Blick in die Glaskugel gleich. Aber bislang ist die Regierungsarbeit ohne größere Fehler angelaufen.

Der Autor ist Korrespondent der
„Thüringischen Landeszeitung“