Berlin.

Für die einen ist es eine Herzensangelegenheit, für die anderen eine weitere Kröte, die sie dem Koalitionsfrieden zuliebe schlucken müssen. Wenn der Bundestag am heutigen Freitag über die gesetzliche Frauenquote in Aufsichtsräten abstimmt, ist eine breite Mehrheit sicher. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) kann dann ihren ersten großen Erfolg verbuchen. In Wirklichkeit aber hat dieser politische Erfolg viele Mütter. Allen voran Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen: Die CDU-Vizechefin hätte fast schon vor zwei Jahren zusammen mit etlichen anderen Abweichlerinnen aus ihrer Partei mit der damaligen rot-rot-grünen Opposition die Frauenquote durchgesetzt. Zwar ließ sich die ehrgeizige Ministerin im letzten Augenblick von Bundeskanzlerin Angela Merkel stoppen. Doch im Gegenzug erzwang von der Leyen die Aufnahme einer starren Frauenquote ins Programm der Union. Und auch die Kanzlerin selbst räumte Widerstände beiseite. Als im vergangenen Herbst der CDU-Wirtschaftsflügel das im Koalitionsvertrag vereinbarte Vorhaben wieder in Frage stellte, sprach Merkel ein Machtwort.

Die Frauenquote ist somit keineswegs ein sozialdemokratisches Anliegen, das nun mit Hilfe der Union umgesetzt wird. Das „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ ist schließlich auch für etliche Unionsfrauen eine Herzensangelegenheit. Für Angela Merkel gilt dies sicher nicht. Und doch passt das Gesetz nahtlos zu etlichen tief greifenden gesellschaftspolitischen Veränderungen, die die erste Bundeskanzlerin ihrer Partei und dem Land verordnet hat. An Merkels stiller Frauenrevolution ist von der Leyen von Beginn an maßgeblich beteiligt. Als Familienministerin setzte die ehrgeizige CDU-Politikerin einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik durch. Elterngeld und Krippenoffensive rückten die berufstätigen Mütter in den Mittelpunkt der Förderung. Verpönt war plötzlich das früher in Westdeutschland verbreitete und von der Union lange Zeit wertgeschätzte Alleinverdienermodell. Während von der Leyen im eigenen Lager anfangs auf heftigen Widerstand stieß, wusste sie stets die SPD an ihrer Seite – und im Regelfall auch die Kanzlerin.

Dass zwei Monate des einkommensabhängigen Elterngeldes für Väter reserviert wurden, regte viele Unionspolitiker maßlos auf. Vom „Wickelvolontariat“ sprach man in der CSU. Doch die Befürworter des Elterngeldes begrüßten den staatlichen Einfluss auf die Arbeitsteilung in der Familie. Die Popularität der 2007 eingeführten Geldleistung hat Kritiker verstummen lassen. Zwar ist der versprochene Babyboom bis heute ausgeblieben. Doch ein gleichstellungspolitisches Ziel hat das Elterngeld erreicht: Die Mütter kehren heutzutage rascher als früher nach der Geburt an ihren Arbeitsplatz zurück. Auch beim Krippenausbau vermeldet die große Koalition Erfolge: Für immer mehr Ein- und Zweijährige gibt es mittlerweile Betreuungsplätze. Und der neue Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz treibt die Nachfrage weiter in die Höhe.

Das 2008 von SPD und Union geänderte Scheidungsrecht spiegelt ebenfalls den Geist dieser veränderten Gesellschaftspolitik wider. Die damalige Justizministerin Zypries frohlockte, nun sei endlich Schluss mit dem Prinzip „einmal Chefarztgattin, immer Chefarztgattin“. Denn jetzt ist jeder nach einer Scheidung selbst für seinen Unterhalt verantwortlich. Das trifft Frauen hart, die sich jahrelang um Kinder und Haushalt gekümmert haben und deshalb auf Karriere verzichteten. Waren Elterngeld und Krippenplätze das Zuckerbrot für berufstätige Mütter, so ist das neue Unterhaltsrecht die Peitsche, die Frauen abstraft, die nicht dem neuen Leitbild entsprechen.

Vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftemangels unterstützt die Wirtschaft alle Anreize, die Berufstätigkeit von Frauen zu fördern. Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich die Frauenerwerbsquote in Deutschland bereits von 62 auf fast 72 Prozent erhöht und liegt damit innerhalb der EU auf einem der vorderen Plätze. Allerdings arbeitet das Gros der Mütter hierzulande Teilzeit. Ökonomen, die im Auftrag der Bundesregierung im vergangenen Herbst eine Gesamtevaluation der Familienleistungen vorgelegt haben, sehen vor allem das steuerliche Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung nicht berufstätiger Ehepartner als Hindernisse für eine noch stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen. Viele Politiker sehen hier die nächsten dicken Bretter, die es zu bohren gilt. Die SPD, aber auch etliche Unionspolitiker halten es für nicht mehr zeitgemäß, dass Eheleute gemeinsam besteuert werden, zumal der Splittingvorteil desto größer ist, je größer der Verdienstunterschied zwischen den Partnern ist. Die Sozialdemokraten sind zudem entschlossen, Frauen aus der „Teilzeit-Falle“ zu befreien. Die Wirtschaft drängt zudem auf ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen, um den Müttern längere Arbeitszeiten zu ermöglichen.

Die Frauenquote wird dagegen von den Arbeitgebern als unnötiger Eingriff des Gesetzgebers in die Personalpolitik abgelehnt. Im Rahmen der schwarz-roten Frauenpolitik ergänzt die Maßnahme jedoch lediglich die bisherige Strategie: Frauen, ob mit oder ohne Kinder, sollen mit den Männern am Arbeitsmarkt gleichziehen. Das gilt für die Arbeitszeit, aber auch für die Posten und – Schwesigs neuester Plan – für das Gehalt. Denn die Tatsache, dass Frauen in Deutschland im Durchschnitt rund ein Fünftel weniger verdienen als Männer, gilt als weitere Gerechtigkeitslücke, die dringend zu beseitigen ist. Die Familienministerin will mit einem weiteren Gesetz Großunternehmen zu mehr Transparenz in Gehaltsfragen zwingen. Das Problem der niedrigeren Frauengehälter kann dies allerdings nicht lösen. Denn der Großteil des Unterschieds resultiert daraus, dass Männer andere Jobs machen.

Ohnehin ist unsicher, ob Merkel die schwarz-rote Frauenpower weiterhin fördern will. Am Ehegattensplitting lässt sie jedenfalls bislang nicht rütteln. Ohnehin könnte es für die Union gefährlich werden, die konservativen Wähler weiter zu vergrätzen. Mit der Alternative für Deutschland (AfD) gibt es eine politische Konkurrenz, die viele familienpolitische Positionen besetzt, die früher die Union innehatte. Und auch die CSU pocht immer wieder auf Rückbesinnung. Dass Merkel auch in diesen Fragen flexibel sein kann, hat sie mit der Einführung des Betreuungsgeldes für Familien, die ihre Kleinkinder nicht in die Krippe geben, bewiesen.