Peking.

Bescheiden soll es zugehen, wenn der Volkskongress (NPC), wie sich Chinas Parlament nennt, am heutigen Donnerstag in der Großen Halle des Volkes seine Mammuttagung mit der Bekanntgabe des Rechenschaftsberichts der Regierung beginnt. Seit Dienstag tagt schon vorab die „Konsulativkonferenz“, die sogenannte Beraterkammer des sozialistischen Parlaments. Die Pekinger Führung hat den Teilnehmern der Jahresversammlungen strenge Sparsamkeit verordnet. Die rund 5000 aus allen Teilen des Landes in die Hauptstadt angereisten Volksvertreter, darunter 3000 stimmberechtigte NPC-Abgeordnete und mehr als 2100 Berater des Konsultativ-Parlaments mussten Normalklasse fahren. Wie schon im Vorjahr, als die Kampagne gegen Extravaganz begann, mussten sie auf Willkommensfeiern, Blumen oder für sie ausgelegte rote Teppiche verzichten.

Diesmal aber werden ihnen noch andere Annehmlichkeiten gestrichen – von der reduzierten Auswahl an Toilettenartikeln in ihren Hotelzimmern bis zum vereinfachten Büfett-Essen. Nicht mal mehr Softdrinks und Tafelwasser in Flaschen seien frei, schrieb die Kantoner Tageszeitung und wählte als Überschrift: „Pro Volksvertreter ein Kilo weniger“. Sie meinte nicht, dass die Abgeordneten abnehmen würden. Sie bezog sich auf Appelle an diese, Konferenzmaterialien online zu lesen, mit neuen Medien und Apps zu arbeiten und auf Drucksachen zu verzichten. Das Kilo bezog sich „auf weniger Papierverbrauch pro Delegierten“.

Zehn Tage dauern die in Kurzform „lianghui“ genannten beiden Volkskammer-Tagungen, ein Relikt aus Chinas Zeiten der alten Planwirtschaft. Regierungsbehörden haben nie bekanntgegeben, wie viel sie für die jährlichen Großkonferenzen ausgeben, allen Versprechungen über Haushaltstransparenz zum Trotz. Statt das antiquierte System zu reformieren, kürzt Peking nur die Spesen. Das Beraterparlament startete am Dienstag mit Aufrufen an die Delegierten, ohne Extravaganz und Eigennutz dem Volk zu dienen. In seiner Ansprache schwor Vorsitzender Yu Zhengsheng, der als Mitglied des Ständigen Politbüroausschusses zur höchsten Inneren Führung der Partei gehört, die Delegierten auf Treue zu den Werten des Sozialismus und Parteichef Xi Jinping ein. Das neu erschienene ZK-Theoriemagazin „Qiushi“ (Die Wahrheit in den Tatsachen suchen) setzte ihnen Grenzen der politischen Mündigkeit: Sie hätten bei allem, was sie tun oder beschließen, „an der Führung durch die KP-China festzuhalten“. Jegliches Kopieren „von westlichen parlamentarischen Beispielen“ laufe dem „grundlegenden Interesse des Volkes“ zuwider. In China sei für „ein Mehrparteiensystem“ oder für sich „abwechselnde Regierungsmacht“ kein Platz. Der „Wettbewerb unter Staaten ist ein Wettbewerb ihrer Systeme“. Die Volkskongresse „sind die Wurzeln unseres Systems“.

Getreu dieser Devise haben Chinas Abgeordnete bei keiner Abstimmung bisher Rechenschaftsberichte, Gesetze oder Resolutionen der Regierung durchfallen lassen. Es soll auch dieses Jahr nicht anders sein. Dabei sitzen unter ihnen immer mehr smarte Unternehmer, Geschäftsleute und Milliardäre. Noch nie waren es so viele, wie unter den für die Legislaturperiode bis 2018 auf fünf Jahre neugewählten 5000 Delegierten in den beiden Kammern. Rupert Hoogewerf, seit 15 Jahren Herausgeber der jährlichen Hurun-Reichenlisten in China, ermittelte eine Rekordzahl von 203 Abgeordneten im Volkskongress und im Beraterparlament, die auch auf seiner Milliardärsliste der 1000 Reichsten Chinas stehen. Er kommt auf 106 superreiche Abgeordnete im NPC (3,6 Prozent aller Delegierten) und auf 97 im Konsultativ-Parlament (4,3 Prozent). Beim wichtigeren Volkskongress sind 44 unter den Superreichen zum ersten Mal als Abgeordnete vertreten. 30 sind es beim Beraterparlament. „Die meisten unter den Neuankömmlingen sind viel jünger als die Reichen in der letzten Legislaturperiode 2008 bis 2013 waren. Sie haben ihr Vermögen nicht mehr vorwiegend mit Immobilien erworben, sondern aus der Neuen Wirtschaft und zu 18 Prozent aus den IT-und Hightech-Bereichen“, sagte Hoogewerf .

Auf Platz zwei unter den superreichen NPC-Abgeordneten kommt etwa nach dem Wahaha-Getränkegiganten Zong Qinghou schon der Chef des Internet-Portals „Tencent“ Ma Huateng. Sein Vermögen beläuft sich auf 100 Milliarden Yuan (rund 13 Milliarden Euro ). Ihm folgt der als Apple-Herausforderer international bekannte Xiaomi-Handyhersteller Lei Jun. Zu den reichen Delegierten im Beraterparlament gehört der 47 Jahre alte Robin Li vom google-ähnlichen Online-Suchsystem „Baidu“. Auch die Wirtschaftszeitung „21th Century Business Herald“ stellt eine Zunahme von Wirtschaftsbossen unter den Apparatschiks der Volksvertreter fest. Sie enthüllte, dass 43 Abgeordnete im NPC als Unternehmer, Geschäftsführer oder Parteisekretäre große Aktiengesellschaften führen mit einem aktuellen Börsenwert von 1,9 Billionen Yuan (rund 265 Milliarden Euro).

Selbst solche mächtigen Multimilliardäre, von denen viele über eigene Jets verfügen und über gigantische Investitionen entscheiden, müssen bis zum 15. März ihre Zeit auf Vollversammlungen und Gruppenaussprachen absitzen, bei denen sich die Teilnehmer ermüdend wiederholen. Das ist der Preis, wenn sie zur politischen Elite des Landes gehören wollen.